Themba
im Holzpfosten hinter unseren Matten, wo Nomtha und ich damals das Geld aus dem Briefumschlag gebunkert haben, für den Notfall. Dieser Notfall ist heute Nacht eingetreten.
Auf einen Zettel schreibe ich eine Nachricht für Großvater: »Tatomkhulu - mach dir keine Sorgen. Heute Nacht gehen Nomtha und ich weg von hier. Wir wollen versuchen, Mutter zu finden und mit ihr heimzukehren. Gott schütze dich.« Dann falte ich das Papier so zusammen, dass ich am Ende unseren Hausschlüssel darin verbergen kann, nach dem ich zuvor in der dunklen Ecke, in die ich ihn geworfen hatte, eine ganze Weile suchen musste.
Als ich die Tür öffne, stelle ich fest, dass der Regen aufgehört und selbst der Sturm nachgelassen hat. Auf der anderen Seite des Hügels, in der Nähe von Mama Zaneles Hütte, streiten sich zwei Rebhühner mit viel Geschrei, obwohl es noch lange vor Morgengrauen sein muss. Ich atme die frische Nachtluft gierig ein und lasse die Tür hinter mir zufallen, ohne mich noch einmal umzudrehen. Dann schultere ich die beiden Jutesäcke und gehe ohne Eile den vertrauten Weg hinunter zum Fluss. Das nasse Gras fühlt sich gut an unter meinen bloßen Füßen. Es ist nur ein kleiner Umweg zu Großvaters Hütte, wo ich den Schlüssel mit der Nachricht unter einen flachen Stein direkt vor den Eingang lege, ohne bei ihm anzuklopfen. Die Schmerzen in meinem Körper scheinen nachzulassen, je weiter ich mich von unserem alten Zuhause entferne.
Noch bevor ich bei Sipho angekommen bin, sehe ich vom Fuße seines Hügels, dass in seiner Hütte schummriges Licht brennt. Ohne unnötige Geräusche zu verursachen, laufe ich den kleinen Pfad hinauf und schaue erst durch das seitwärts liegende kleine Fenster, um zu sehen, wer überhaupt noch wach ist. Sipho liegt neben Jabu in einem Bett gleich unter dem Fenster, die beiden kleineren Geschwister schlafen auf einer Decke auf dem Boden daneben - und Nomtha? Nomtha sitzt kerzengerade auf dem Rand des großen Bettes. Sie hat mir den Rücken zugewandt und schaut zur Tür, als lausche sie mit aller Konzentration in die Nacht hinaus.
So leise wie möglich rufe ich ihren Namen: »Nomtha!«
Augenblicklich fährt sie herum und sieht, wie ich ihr mit einem Finger auf dem Mund andeute, dass sie leise sein soll.
Dann fliegen wir auch schon beide zur Tür, die sie von innen entriegelt, und fallen einander in die Arme. Wir halten uns fest wie zwei Geliebte, die gegen ihren Willen zu lange voneinander getrennt waren. Diesmal bin ich es, der sie auf den Mund küsst. Sie erwidert meinen Kuss zaghaft, aber voller Wärme. Erst dann entdeckt sie die Platzwunde seitlich an meinem Kopf und ruft erschrocken: »Was hat er dir getan, Themba?«
Ich lege meinen Finger auf ihre Lippen: »Pssst, nicht so laut!«
Wir drehen uns beide um zu Sipho und Jabu. Einer von beiden hat etwas im Schlaf gebrabbelt und sich umgedreht. Aufgewacht ist niemand.
Ich flüstere Nomtha zu: »Luthando wird uns nie mehr etwas tun.« Nomtha merkt, dass ich ihn nicht mehr Onkel nenne, aber sie bohrt nicht nach.
»Ich bin so froh, dass du endlich hier bist!«, flüstert sie zurück und zieht mich erst jetzt samt den beiden Jutesäcken in die Hütte hinein. Dann verriegelt sie die Tür wieder leise von innen.
»Sipho hat gesagt, dass wir im Bett seiner Mutter schlafen sollen, aber ich möchte lieber auf einer Decke daneben liegen«, sagt Nomtha und beginnt, uns ein Lager auf der Erde zu bereiten. »Wusstest du«, fährt sie dabei fort, ohne mich anzusehen, »dass seine Mutter schon vor ein paar Monaten an AIDS gestorben ist?«
»Ja«, antworte ich leise und hoffe, dass sie es mir nicht übel nimmt, dass ich ihr Siphos Geheimnis vorenthalten habe.
Als wir schon die Kerze gelöscht haben und, in die Decke gewickelt, nebeneinander liegen, flüstere ich ihr noch ins Ohr: »Nomtha, morgen fahren wir nach iKapa... zu Mutter... morgen.«
Sie streicht mit ihren Fingern vorsichtig über die inzwischen blutverkrustete geschwollene Stelle an meinem Kopf und entgegnet genauso leise: »Ja...« Nur dieses eine Wort. Aber es klingt in meinen Ohren, als hätte sie schon lange auf diese Ankündigung gewartet. Und auch als wollte sie uns beiden versichern: Ja - wir werden Mutter finden! Egal wie weit es bis dorthin ist und egal wie groß diese ferne Stadt am südlichsten Punkt Afrikas auch sein mag.
Als wir am nächsten Morgen erwachen, scheint die Sonne durch die weit offene Tür herein. Zuerst schließe ich angesichts des grellen Lichts sofort
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