Themba
wieder die Augen, aber dann stößt mich Nomtha vorsichtig an und sagt freundlich: »Schau doch mal!«
Nach einem Moment der Gewöhnung sehe ich, wie der kleine Jama und die noch kleinere Nosipho unmittelbar vor uns sitzen und fasziniert meinen Kopf mit der geschwollenen Wunde anstarren. Von der Feuerstelle her klingt Siphos fröhliche Stimme: »Nosipho wird bestimmt mal Krankenschwester! Die kann jetzt schon einem Frosch das gebrochene Bein schienen.«
»Echt?«, fragt Nomtha in gespieltem Erstaunen.
Nospiho nickt voller Überzeugung.
Jama ist sehr stolz auf Nosiphos besondere Fähigkeiten: »Heute Morgen hat sie eine verirrte Schlange aus einem Blecheimer befreit!«
Nosipho nickt wieder.
»Schön dumm von dir!«, spottet Jabu. »Wär ein gutes Frühstück gewesen.« Nosipho verzieht ihr kleines Gesicht und wir andern lachen.
Mir ruft Sipho zu: »Hoffentlich hast du dem alten Sack bei euch daheim kräftig auf die besoffene Rübe gehauen, Themba!«
Statt zu antworten, informiere ich ihn über unseren nächtlichen Entschluss: »Nomtha und ich fahren heute mit dem Bus am frühen Abend nach iKapa, unsere Mutter suchen. Ich hab schon alles gepackt.«
Sipho, der für seine Geschwister gerade den mealie pap fürs Frühstück zubereitet, hält erschrocken inne und ruft: »Aber Themba, Mann, jetzt haben wir endlich das erste Mal Erfolg mit unserem Verein! Wir brauchen dich...«
Als ich wieder nicht antworte, sondern ihn nur lange anschaue, sehe ich, wie er zu verstehen beginnt, Sipho, mein bester Freund.
»Ja«, sagt er beinah im gleichen Tonfall wie Nomtha letzte Nacht, »das müsst ihr tun.« Er fragt nicht, ob wir überhaupt eine Anschrift von Mutter haben oder genug Geld für die Bustickets und zum Leben in der großen Stadt. Er akzeptiert es einfach.
Nach dem Frühstück holt er den Ball aus dem Schuppen und beginnt, auf einem Bein zu kicken. Die Wunde an seinem Schienbein vom gestrigen Spiel scheint ihn kaum zu kümmern. Als er mir den Ball zuspielt, trete ich so ungeschickt daneben, dass er merkt, dass ich außer der Wunde am Kopf noch andere Verletzungen haben muss.
»War es so schlimm letzte Nacht?«, fragt er leise.
Ich nicke stumm. Sipho fragt nicht weiter, sondern wirft den Ball einfach zurück in den Schuppen. Wir setzen uns neben unser Fußballtor ins Gras, ich lehne mich mit dem Rücken gegen einen der Pfosten.
»Wenn Jama und Nosipho älter sind, gehe ich auch in eine große Stadt, um Geld zu verdienen«, erklärt Sipho.
»Sobald wir eine Anschrift in iKapa haben, schreibe ich dir«, verspreche ich ihm.
»Mit dem ersten Geld, das ich sparen kann, werde ich eine richtige Beerdigung für Mutter bezahlen«, versichert er mir.
»Denkst du, dass du es wirklich noch so lange geheim halten kannst?«, frage ich spontan. Im nächsten Augenblick würde ich mir dafür am liebsten die Zunge abbeißen. Das ist allein seine Sache, die mich nichts angeht. Genauso wie er mich respektiert, wenn ich über etwas nicht reden will.
Zu meiner Überraschung geht er jedoch auf meine Frage ein und antwortet mit besorgtem Gesicht: »Ich weiß, Mann, ich weiß…« Und nach einem kurzen Zögern: »Wie gut kennst du eigentlich Mama Zanele?«
»Sie ist unsere Nachbarin«, entgegne ich ausweichend. »Sie ist okay, glaube ich.« Aber mir ist klar, dass er auf etwas Bestimmtes hinauswill.
»Ihre Tochter, hast du gesagt, ist auch an AIDS gestorben, nicht?«
Ich nicke.
»Und sie redet darüber, ohne sich zu schämen?«
»Ja.« Ich nicke wieder. »Das hat sie getan. Auch Andy und seine Mutter haben es gehört.«
Er rückt noch etwas näher und fragt leise: »Würdest du mitkommen, wenn ich mit ihr sprechen will?«
»Klar, Mann!« Ich klopfe ihm auf die Schulter und springe auf. »Aber dann jetzt gleich, sonst verpassen Nomtha und ich nachher noch den Bus.«
Nomtha bleibt bei Siphos Geschwistern, und nur Jabu begleitet uns beide auf dem gleichen Pfad, den ich in der Nacht zuvor mit den Jutesäcken gelaufen bin. Es ist jetzt Mittag und direkt über uns brennt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Trotzdem laufen wir weiter im gleichen Tempo: Sipho und ich beinah im Gleichschritt, Jabu mit seinen kürzeren Beinen manchmal in leichtem Dauerlauf, um mitzuhalten.
Als wir uns dem Haus von Mama Zanele nähern, werfe ich einen Blick auf den Hügel gegenüber, wo unsere Hütte steht. Die Tür ist verschlossen und Luthando schläft vermutlich noch immer seinen Rausch aus.
Wir haben Glück - aus Mama Zaneles Hütte klingt
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