Themba
nicht.«
In weniger als fünf Minuten haben wir die letzte Asphaltstraße hinter uns gelassen und schlingern nun über einen moddrigen Pfad, bis Sister Princess vorsichtig bremst und uns aussteigen lässt: »Weiter kann ich mit dem Auto nicht fahren, sonst bleibe ich stecken. Die Hütten hier tragen schon Achttausender-Nummern, weit kann es also nicht mehr sein. Klopft einfach irgendwo an und fragt, wo Nummer 8744 ist.«
Wir bedanken uns und blicken ihr nach, wie sie in ihrem kleinen Auto den Pfad zurück zur Asphaltstraße rutscht. Als Erstes zieht Nomtha ihre guten schwarzen Schuhe aus und bindet sie oben auf den Jutesack. Der Modder hier ist nicht einfach nur feuchte Erde, wie wir sie auch bei uns auf dem Land kennen. Es ist eine dreckige, schmierige Masse, in der sich alle möglichen Abfälle aufgelöst haben und ihren unangenehmen Gestank verbreiten.
Es ist unmöglich, unsere Jutesäcke, die inzwischen zwar nass geworden, aber doch sauber geblieben sind, irgendwo abzusetzen. Bestimmt eine halbe Stunde irren wir durch diese armselige Landschaft, ohne die Hütte mit der Nummer 8744 zu finden. Mehrmals umkreisen wir Nummer 8740, aber dann bricht die Zahlenreihe wieder ab, wahrscheinlich weil irgendwelche Shacks längst zusammengebrochen oder abgebrannt sind. Weder Nomtha noch ich fühlen die Kälte, die Nässe, den Gestank oder den Hunger. Uns treibt nur noch die verzweifelte Gewissheit, dass wir so dicht vor dem Ziel auf keinen Fall aufgeben wollen, wo auch immer wir landen werden.
Und dann sehen wir sie plötzlich. Es kann sein, dass wir in unserer Unerfahrenheit sogar schon einmal daran vorbeigestolpert sind. Zum vierten oder fünften Mal haben wir begonnen, ausgehend von der Nummer 8740, in Kreisen die verschiedenen Shacks nach Nummern abzusuchen, die in weißer Schrift, manchmal mit Ölfarbe, manchmal auch nur mit Kreide, meist auf die klapprigen Türen geschmiert sind. Bei einer Hütte, die inmitten anderer Buden höchstens zehn Meter von Nummer 8740 entfernt steht, ist die schiefe Tür halb geöffnet. Der Boden ist feucht und zum Teil von schlammigem Wasser überflutet.
Diese Hütte trägt keine Nummer, vielleicht hat sie der Regen abgewaschen. Aber auf einer muffigen Matratze sitzt eine alte, abgemagerte Frau, die, in eine ausgefranste Decke gehüllt, starr vor sich auf die Wand schaut. Die Matratze liegt auf mehreren übereinander gestapelten Holzpaletten, der Boden darunter ist feucht. Die Frau hält ein Foto mit einem Silberrahmen in den Händen, das wir beide im gleichen Augenblick erkennen.
»Mama?«, fragt Nomtha vorsichtig ins Dunkel der Hütte hinein.
eLokishini
Im Township
Der Kopf der verhärmten Frau bewegt sich langsam in unsere Richtung. Im ersten Moment scheint es, als ginge ihr Blick durch uns hindurch. Dann aber fixiert sie unsere Gesichter - erst Nomthas, dann meines. Als sich mein Blick mit ihrem trifft, ist es, als würde bei uns gleichzeitig der Funke des Wiedererkennens überspringen - das sind Mutters leicht mandelförmige dunkelbraune Augen, kein Zweifel!
»Mama!«, rufe ich, ziehe Nomtha mit mir in die stinkende, feuchte Hütte, wo wir uns zu dritt in die Arme fallen. Mutter ist entsetzlich dünn geworden. Jeder Knochen ist zu spüren, als ich ihr mit der Hand sanft über den Rücken streiche. Für diesen Augenblick vergessen wir alles um uns herum - die Kälte, den Dreck, die Feuchtigkeit, ja, selbst dass Mutter offenbar sterbenskrank ist. Wir haben sie gefunden, wir sind wieder zusammen. Nur das zählt jetzt, alles andere kommt später.
Nomtha und Mama weinen, aber es sind Freudentränen. Auch ich muss ein paarmal schlucken, versuche jedoch, nach außen stark zu bleiben. Unsere Jutesäcke stehen noch immer draußen vor dem Eingang, wo ich sie auf einem etwas erhöhten Sandhaufen abgestellt habe. In Mutters Hütte kann ich keinen trockenen, sauberen Platz für sie entdecken.
Weder Nomtha noch ich lassen Mutter spüren, wie entsetzt wir über ihr Aussehen sind. Wie viel Schreckliches muss sie in den vergangenen Monaten durchgemacht haben! Warum ist sie nicht zurück zu Sister Princess in die Tagesklinik gegangen, wo sie doch offensichtlich dringend Medikamente braucht? Und gibt es sonst niemanden hier, keine Nachbarin, keine Freundin, die ihr in so einer schlimmen Situation hilft?
Nirgends in der Hütte können wir etwas zu essen entdecken. Während ich Mutter eine der letzten beiden Orangen gebe, die wir noch in unserer Provianttüte haben, sage ich leise zu Nomtha:
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