Themba
Hinausgehen schielen wir unauffällig links und rechts in verschiedene Zimmer, deren Türen alle offen stehen. Frauen jeden Alters, teilweise in noch viel schlimmerem Zustand als Mutter, liegen oder hocken auf ihren Betten. Die meisten scheinen zu schlafen, einige brabbeln wirres Zeug vor sich hin. Eine jüngere weiße Frau reißt an ihren langen blonden Haaren und schreit dabei etwas in einer Sprache, die wir nicht verstehen.
Als wir draußen sind, wird die Tür sofort wieder von innen abgeschlossen.
»Wo müsst ihr denn jetzt hin?«, fragt uns der Fahrer, der in seinem Wagen sitzt und sich offenbar auf den nächsten Einsatz vorbereitet.
Nomtha und ich schauen uns ratlos an.
»Wohin fahren Sie denn als Nächstes?«, frage ich zurück.
»Richtung Hauptbahnhof«, antwortet er.
»Das ist gut.«
Wir klettern stumm hinten in den Wagen und reden lange kein Wort miteinander.
Endlich spricht Nomtha aus, was mir schon die ganze Zeit im Kopf herumgeht: »Wir müssen Mutter unbedingt jeden Tag besuchen, Themba, egal wie weit es ist.« Und nach einem kurzen Innehalten: »Oder besser noch - wir holen sie da wieder raus. Aber wie?«
Stumm starren wir beide durch den Spalt im Fenster. Diesmal nehmen wir die aufregende bunte Innenstadt kaum wahr. Verzweifelt grübeln wir darüber, was wir nur tun können. Um Mutter aus diesem schrecklichen Hospiz herauszuholen, brauchen wir Geld. Aber wir haben keine Ahnung, wie viel. Und noch weniger wissen wir, wo wir das auftreiben sollen. Da habe ich eine Idee. Plötzlich weiß ich, was ich versuchen muss - jetzt oder nie!
» Ndiza kuyenza... ich werde es tun«, murmle ich leise vor mich hin.
» Uthini - was sagst du?«, fragt Nomtha.
Aber da sind wir schon am Bahnhof und steigen ganz in der Nähe der Bushaltestelle aus, an der wir vor mehreren Monaten angekommen sind.
»Wie viele Münzen hast du bei dir?«, frage ich Nomtha. Gemeinsam kramen wir hervor, was wir haben. Es wird reichen. Ohne zu zögern, gehe ich voraus in die große Wartehalle und auf die öffentlichen blauen Telefonapparate zu, die in der Nähe der Ticketschalter hängen. Ich nehme den Hörer ab und ziehe die kleine hellblaue Karte aus der Tasche, die ich damals im Unabhängigkeits-Stadion von Umtata erhalten habe und seither immer bei mir trage.
»Halt mal fest«, bitte ich Nomtha, damit ich eine Hand zum Wählen frei habe.
Es tutet nur kurz, dann höre ich eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung: »Büro von Mr Jacobs bei Ajax Cape Town. Was kann ich für Sie tun?«
Ich räuspere mich kurz und sage dann in meinem besten Englisch: »Kann ich bitte mit Mr Jacobs sprechen?«
»Wen darf ich melden?«, fragt sie.
»Themba Matakane«, gebe ich meinen vollen Namen durch. Aber sie scheint nicht zu verstehen.
»Wen?«
»Themba von den Lion Strikers aus Qunu!«
»Einen Moment bitte.«
Ich drücke den Hörer mit beiden Händen fest ans Ohr und nicke Nomtha aufgeregt zu.
»Jacobs, hallo?«
Jetzt bloß keinen Fehler machen. »Hallo, Mr Jacobs. Ich bin Themba, Sie haben mir Ihre Karte gegeben, beim Halbfinale der Jugendmeisterschaften im Ostkap letztes Jahr... Ich bin in Kapstadt und muss Sie unbedingt sprechen!«
Natürlich kann er sich nicht an mich erinnern. Wenn er bloß nicht gleich auflegt. Ich höre seinen schweren Atem am anderen Ende des Hörers und schiebe nach: »Ich habe damals kurz vor Schluss ein Tor geschossen… und Sie haben uns allen Fußballschuhe versprochen, wissen Sie noch?«
Einen Moment nichts. Dann ein dröhnendes Lachen am anderen Ende: »Schöner Zufall… erst letzte Woche hat meine Sekretärin die Schuhe auf den Weg geschickt. Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat.«
»Macht doch nichts«, rufe ich erleichtert, weil er sich nun endlich doch erinnert. Ich strahle Nomtha an. »Darf ich Sie in Ihrem Büro besuchen?«
»Nicht in meinem Büro«, entgegnet er. »Aber du kannst zu einem Training nach Parow kommen. Wann hast du Zeit?«
»Immer«, antworte ich, ohne nachzudenken, und füge zur Sicherheit hinzu: »Heute auch.«
Big John scheint in guter Stimmung zu sein. Seine tiefe Stimme behält ihren freundlichen Klang: »Dann komm mal gleich nachher um 16 Uhr. Ich werde auch da sein, und vielleicht fällt mir dann ja auch wieder ein, wer du bist.«
»Super! Danke, Mr Big... Mr Jacobs.«
Er lacht wegen meines Versprechers. »Und vergiss deine Sportsachen nicht!«
»Vielen Dank!«, sage ich noch mal, obwohl ich weder Sportsachen noch eine Ahnung habe, wo das Trainingslager
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