Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
wird.“
„Es ist jetzt bei seiner Familie“, sagte ich fest. Ich hatte mich dessen bei Atalante versichert, als sie nach der Übergabe zurückgekehrt war.
„Ja.“
Wir fuhren still mit der Arbeit fort, trugen Geschirr, Gläser und Besteck zu einem Servierwagen und begannen dann mit dem nächsten Tisch.
„Ell?“
„Ja?“
Nach einer langen Pause fragte Padmini: „Wie sah … es aus? Das Kind? Mein Sohn?“
Zerknautscht und niedlich. Mit unglaublich winzigen Fingern und Zehen und Ohren und unendlich weicher Haut, dachte ich.
„Ganz normal. Wie ein Baby eben“, sagte ich. Warum sollte ich sie quälen?
Wieder Schweigen. Und dann: „Wenn du ein Wort über dieses Gespräch verlierst, Ell, dann …“
„Dann machst du mich platt“, fiel ich ihr ungerührt ins Wort. „Ich weiß.“
In den nächsten Tagen schwankte mein Selbstbewusstsein minütlich zwischen Nichtexistenz und, dank Pollys Einfluss, Größenwahn. Wann immer ich Louis begegnete, beschäftigte ich mich eingehend mit etwas, das sich genau in der entgegengesetzten Richtung befand. Ich sah ihn gar nicht an. Nur in einem abgelenkten Moment gelang es meinem Herzen, meinen Blick in seine Richtung zu lotsen, und ich stellte fest, dass Louis ziemlich fertig au ssah. Ungewohnte Blässe, Schatten unter den Augen, drei- bis fünf-Tage-Bart.
Nur fair, fand meine innere Amazone. Du hast auch kaum geschlafen in den vergangenen Nächten.
Was ist denn daran fair? widersprach mein Herz. Er ist trotzdem sexy, während du wie der letzte Zombie aussiehst.
Mein Selbstwertgefühl näherte sich wieder dem Nullpunkt.
Dante behandelte mich wie immer, aber ich hatte das Gefühl, dass er mich genau beobachtete, wenn ich nicht hinsah. Während wir getrocknete Ginsterblüten zerkleinerten, dozierte er weiter über die Freiheit. Inzwischen waren noch Gleichheit und Brüderlichkeit dazugekommen, denn wir waren bei der französischen Revolution angelangt. Aber obwohl es ihm auch diesmal gelang, mich in den Bann seiner Erzählungen zu ziehen, drehten sich andere Teile meines Gehirns immer noch um ein anderes Thema.
„Was ist eigentlich mit Louis?“, unterbrach ich ihn irgendwann unvermittelt.
Warum willst du das wissen? Denkst du, ihn kümmert auch nur im Geringsten, wie es dir geht? tobte mein Verstand los.
Nein, aber ich konnte einfach nicht anders.
„Nun, er wurde von den Revolutionären zum Tode verurteilt und guillotiniert.“
Mein Herz setzte unsinnigerweise einen Schlag aus, bis ich begriff, dass Dante sich auf Ludwig XVI. bezog und nicht auf seinen Pflegesohn. Ich musste kichern, erst ein bisschen, dann immer mehr – eindeutig Schlafmangel mit Albernheit im Schlepptau.
Dante sah mich verwirrt an, musste dann aber mitlachen, auch wenn er genauso wenig verstand wie ich, was so lustig sein sollte. Sein Lachen endete in einen heftigen Hustenanfall und ich eilte besorgt zu ihm, um ihm auf den Rücken zu klopfen, aber er winkte ab.
„Ist nur eine Erkältung“, erklärte er. „Das feuchte Wetter tut mir nicht gut.“
Ich bemerkte, wie bleich er aussah und schalt mich, dass mir das nicht vorher aufgefallen war, nur weil meine Gedanken um sich selbst, um mich selbst rotierten. Wahrscheinlich waren die Arbeiterhütten nicht nur baufällig, sondern auch undicht. Kein Wunder, wenn man da krank wurde. Ich musste dringend mit Atalante darüber reden.
„Setz dich hin, ich mache allein weiter“, ordnete ich an.
Er protestierte, aber ich duldete keinen Widerspruch.
„Ich meinte vorhin eigentlich den anderen Louis. Nicht den Sechzehnten“, merkte ich an.
„Ah, du sprachst vom Sonnenkönig?“
Ich fuhr herum, weil ich nicht glauben konnte, dass Dante mich dermaßen missverstand, aber als ich ihn ansah, erkannte ich ein spöttisches Glitzern in seinen Augen und wusste, dass er sich über mich lustig machte. Ich sah ihn strafend an und er bemühte sich um Ernsthaftigkeit.
„Was genau meinst du?“, wollte er wissen.
„Ich habe ihn gestern gesehen und er sieht wirklich … fertig aus. Schläft er genug? Oder tut ihm das schlechte Wetter auch nicht gut?“ Ich beschäftigte mich sehr eingehend mit den Ginsterblüten in meinen Händen und hoffte, meinen Verstand damit abzulenken.
„Das Wetter kann so einem jungen Kerl nichts anhaben. Als ich jung war, war ich nie krank, ich –“
„Dante!“, rief ich und rollte mit den Augen. „Es muss dir doch auch aufgefallen sein. Machst du dir keine Sorgen?“
„Machst du dir welche?“, fragte er
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