Theo Boone - Der Überfall: Band 4 (Heyne fliegt) (German Edition)
er dieses zurückgezogene, unkonventionelle Leben in gewisser Weise.
» Wie üblich«, sagte Ike und deutete mit dem Arm auf den Papierstapel auf seinem Schreibtisch. » Ich löse die Geldprobleme von Leuten, die kein Geld haben. Wie läuft’s bei Boone & Boone ?«
» Auch wie immer, hat sich nichts verändert.«
» Wie sieht’s mit den Noten aus? Nur Einsen?«
» Fast.« Diese Verletzung seiner Privatsphäre ärgerte Theo jedes Mal wieder. Er hatte keine Ahnung, wieso Ike sich das Recht herausnahm, sich in Theos Schulangelegenheiten einzumischen. Aber, wie Mrs. Boone immer sagte, er gehörte schließlich zur Familie.
» Was soll das heißen– fast?«
» Eine Zwei plus in Chemie, aber das wird schon noch.«
» Das will ich aber auch hoffen«, sagte Ike streng, aber Theo wusste, dass das nur Theater war. Ike blickte auf den Monitor seines Computers, der links von ihm stand. » Das hier hab ich gerade vor zehn Minuten gesehen«, erklärte er, während er über die Lesebrille spähte und mit der Maus etwas anklickte. » Unsere unerschrockene Tageszeitung, und zwar sogar die Online-Ausgabe, meldet, dass ein Junge aus deinem Pfadfindertrupp am Wochenende eine höchst unangenehme Begegnung mit einer Mokassinschlange hatte. Weißt du etwas darüber?«
» Und warum interessiert die das?«, fragte Theo angewidert.
» Weil heutzutage über alles berichtet wird, Theo. Privatsphäre ist passé. Es gibt keine Geheimnisse und keine Scham. Jeder ist prominent. Percy Dixon?«
» Wer sonst? Seine Mutter will offensichtlich alle Aufmerksamkeit einheimsen, die sie kriegen kann. Bestimmt hat sie die Zeitung selbst angerufen. Wie hätten die sonst von so einer Lappalie erfahren?«
» Warst du dabei?«
» Und ob.«
» Was ist passiert?«
Und so erzählte Theo die Geschichte noch einmal.
» So ein Vollidiot!«, sagte Ike, als er fertig war. » Dafür hast du keine Suspendierung verdient.«
» Das ist schon in Ordnung, Ike. Ich habe mich damit abgefunden und eigentlich keine Lust mehr, darüber zu reden. Lass uns das Thema wechseln.«
» Klar. Yankees und Twins?«
» Nein.« Ike war ein eingefleischter Yankees-Fan, der die traditionsreiche Baseballmannschaft vergötterte. Theo war für die Twins, weil die in Strattenburg sonst keine Anhänger hatten. Vermutlich lag das daran, dass Minnesota anderthalbtausend Kilometer weit weg war.
» Kann ich verstehen«, meinte Ike. Er schob seinen Stuhl zurück und griff in einen kleinen Kühlschrank, der durch einen Aktenstapel fast verdeckt wurde. Er holte eine Flasche Bier für sich selbst und eine Dose Sprite heraus, die er über den Schreibtisch rollen ließ, was verschiedene Dokumente endgültig ins Rutschen brachte. » Hier«, sagte er eben noch rechtzeitig, dass Theo die Dose fangen konnte. Ike öffnete langsam, geradezu mühselig seine Bierflasche, hob die Beine an und ließ sie auf den Schreibtisch sinken. Als er sich gemütlich zurückgelehnt hatte, gönnte er sich einen Schluck.
Theo wusste aus Erfahrung, dass nun eine lange Geschichte kam.
Noch ein Schluck, dann holte Ike aus. » Hör dir das mal an.« So fingen Ikes Geschichten eigentlich alle an. » Es geht um das griechische Ehepaar aus dem Erdgeschoss, Jimmy und Amelda Tykos, ganz reizende Menschen, die ich seit Jahren kenne und jeden Tag sehe. Die beiden sind als Kinder in die Vereinigten Staaten gekommen und haben ihr ganzes Leben lang rund um die Uhr gearbeitet, weil ihre Kinder es einmal besser haben sollten. Tolle Leute. Ihr ältester Sohn Russell hat ein Bauunternehmen, übernimmt kleinere Projekte, Renovierungen und solche Sachen. Russell ist um die vierzig, verheiratet und hat drei Kinder, von denen das Erste mit schweren gesundheitlichen Problemen zur Welt gekommen ist. Es hat ein Vermögen gekostet, das Baby überhaupt am Leben zu halten, und jetzt braucht das Kind alle möglichen Spezialbehandlungen. Russell und seine Eltern sind fast in die Knie gegangen, aber sie haben sich am Riemen gerissen, noch härter gearbeitet, sich jede überflüssige Ausgabe verkniffen, und es geschafft.«
Theo hatte wahrscheinlich seinen Blick schweifen lassen, denn Ike klang gereizt. » Langweile ich dich, Theo?«
» Ich bin ganz Ohr.« Wahrscheinlich war er der einzige Mensch weit und breit, der sich Ikes endlose, weitschweifige Geschichten anhörte, die aber zumeist einen interessanten Kern hatten.
Ike trank einen Schluck Bier, sah zur Decke empor und sprach weiter. » Vor etwa zehn Jahren kauften sich Russell und
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