Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
wenn der Wortsinn der Vernunft widersprach, sondern nur, wenn er der Bibel selbst, d.h. ihren deutlichen Lehrsätzen widersprach. Demgemäss stellt er als allgemeine Regel auf, dass Alles, was die Schrift als Glaubenssatz lehrt und bestimmt behauptet, auf ihr blosses Ansehen als wahr anerkannt werden müsse; kein anderer Glaubenssatz sei in der Bibel enthalten, der jenem geradezu widerspreche; vielmehr geschehe dies nur mittelbar, weil die Redeweise der Schrift oft etwas vorauszusetzen scheine, was dem von ihr ausdrücklich Gelehrten widerspricht; nur deshalb sei die gleichnissweise Auslegung solcher Stellen zulässig.
So sagt z.B. die Schrift deutlich, Gott sei Einer (Deut. VI. 4), und nirgends giebt es eine Stelle in ihr, die geradezu behauptet, es gebe mehrere Götter; wohl aber sind mehrere, wo Gott von sich und wo die Propheten von Gott in der Mehrzahl sprechen, was nur eine Redeweise sei, aber nicht sagen wolle, dass es mehrere Götter gebe; deshalb seien solche Stellen gleichnissweise zu erklären, und zwar nicht, weil es der Vernunft widerspricht, dass es mehrere Götter gebe, sondern weil die Schrift geradezu ausspricht, es gebe nur einen Gott. - So spricht (nach seiner Meinung) die Schrift Deut. IV. 15 geradezu aus, dass Gott unkörperlich sei. Deshalb müssen wir auf das Ansehen blos dieser Stelle und nicht der Vernunft glauben, dass Gott keinen Körper habe, und deshalb blos auf Grund der Schrift alle anderen Stellen gleichnissweise erklären, welche Gott Hände, Füsse u.s.w. zutheilen; da es eine blosse Redeweise sei, Gott als körperlich anzunehmen.
Dies ist die Meinung dieses Mannes. Ich lobe ihn, soweit er die Bibel durch die Bibel erklären will; aber ich staune, dass ein vernünftiger Mann die Bibel zu zerstören sucht. Es ist richtig, dass man die Bibel aus der Bibel erklären solle, so lange es sich blos um den Sinn der Rede und die Meinung der Propheten handelt; aber wenn dieser ihr wahrer Sinn ermittelt ist, braucht man nothwendig Urtheil und Vernunft, wenn man ihnen beistimmen soll. Soll die Vernunft, obgleich sie der Bibel entgegentritt, sich doch ganz unterwerfen, so frage ich, soll dies mit oder ohne Vernunft, gleich Blinden, geschehen? Geschieht dies, so handeln wir thöricht und ohne Vernunft; geschieht jenes, so nehmen wir die Bibel blos auf Geheiss der Vernunft an und würden es nicht thun, wenn sie ihr widerspräche. Ich frage nun: wer kann mit seiner Seele etwas annehmen, was der Vernunft widerspricht? Was ist das Verneinen in der Seele Anderes, als dass die Vernunft widerspricht? Ich staune fürwahr, dass man die Vernunft, das höchste Geschenk und das göttliche Licht, den todten Buchstaben unterwerfen will, die durch die Bosheit der Menschen verfälscht werden konnten, und dass es nicht als ein Verbrechen gilt, wenn man gegen den Geist, die wahre Handschrift des Wortes Gottes, unwürdig spricht, ihn für verderbt, blind und verloren erklärt, aber es für das grösste Verbrechen hält, über den Buchstaben und das Götzenbild des Wortes Gottes anderer Meinung zu sein. Man hält es für fromm, wenn man der Vernunft und dem eigenen Urtheile nicht vertraut; aber für gottlos, an der Zuverlässigkeit Derer zu zweifeln, welche uns die heiligen Schriften überliefert haben. Dies ist reine Thorheit, keine Frömmigkeit. Aber ich frage: was macht sie besorgt? Was fürchten sie? Kann die Religion und der Glaube nur vertheidigt werden, wenn man absichtlich Alles vergisst und der Vernunft den Abschied giebt? Wer so denkt, der fürchtet die Bibel mehr, als dass er an sie glaubt, und es ist durchaus nicht der Fall, dass die Religion und Frömmigkeit die Vernunft, oder diese jene zu ihrer Magd machen will, und dass beide ihre Herrschaft nicht in vollem Frieden führen könnten, wie ich gleich darlegen werde.
Vor Allem will ich erst die Regel dieses Rabbiners prüfen. Er will, wie gesagt, dass wir Alles, was die Schrift behauptet oder bestreitet, als die Wahrheit annehmen oder als die Unwahrheit verwerfen sollen, und. dass die Schrift nie mit ausdrücklichen Worten etwas behauptet oder bestreitet, was mit ihren Behauptungen und Bestreitungen an anderen Stellen in Widerspruch stehe. Die Kühnheit beider Behauptungen muss Jeder bemerken. Ich lasse bei Seite, was er nicht bedacht hat, dass die Schrift aus verschiedenen Büchern besteht, welche zu verschiedenen Zeiten, für verschiedene Menschen und von verschiedenen Verfassern geschrieben worden, und dass er seine Ansicht auf eigene
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