Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
als nur durch Die, welche die Staatsgewalt inne haben. Dies folgt auch und wird deutlicher aus dem in Kap. 4 Gesagten. Dort habe ich gezeigt, dass alle Beschlüsse Gottes eine ewige Wahrheit und Nothwendigkeit einschliessen, und dass man Gott nicht als einen Fürsten oder Gesetzgeber für die Menschen auffassen könne. Deshalb erhalten die göttlichen Lehren, welche das natürliche oder prophetische Licht offenbart, die Kraft eines Gebotes nicht unmittelbar von Gott, sondern nur von Denen oder mittelst Derer, welche das Recht der Staatsgewalt besitzen. Man kann deshalb auch ohne ihre Vermittlung sich nicht vorstellen, dass Gott über die Menschen herrscht und die menschlichen Angelegenheiten nach Gerechtigkeit und Billigkeit leitet. Auch die Erfahrung bestätigt dies; denn man findet die Spuren der göttlichen Gerechtigkeit nur da, wo die Gerechten regieren; anderwärts, um die Worte Salomo's zu wiederholen, trifft das Gleiche den Gerechten wie den ungerechten, den Reinen wie den Unreinen; ein Umstand, der Viele, welche meinten, Gott regiere die Menschen unmittelbar und leite die ganze Natur zu ihrem Nutzen, an der göttlichen Vorsehung hat zweifeln lassen.
Wenn sonach sowohl die Erfahrung wie die Vernunft ergiebt, dass das göttliche Rocht von dem Beschluss der Staatsgewalt abhängt, so folgt, dass sie auch seine Auslegerin ist. Aber in welcher Weise sie dies ist, wird sich später zeigen; denn es ist Zeit, dass ich darlege, wie der äussere Gottesdienst und alle Hebung der Frömmigkeit sich dem Frieden und der Erhaltung des Staates zu fügen hat, wenn man Gott recht gehorchen will. Nach dieser Darlegung wird dann sich die Art leicht ergeben, in der die Staatsgewalt Religion und Frömmigkeit auszulegen hat.
Es ist gewiss, dass die Treue gegen das Vaterland das Höchste ist, was Jemand zu leisten hat; denn wenn der Staat aufgehoben ist, so kann nichts Gutes bestehen bleiben, Alles kommt in Gefahr, und nur die Leidenschaften und die Gottlosigkeit herrschen dann durch die Furcht über Alles. Deshalb wird selbst das Fromme, was man dem Nächsten erweist, zu einem Gottlosen, wenn es zum Schaden des ganzen Staates gereicht, und ebenso kann man nichts Gottloses an ihm begehen, was nicht als fromm gelten muss, wenn es zur Erhaltung des Staates geschieht. So ist es z.B. fromm, Dem, der mit mir streitet und meinen Rock nehmen will, auch den Mantel zu geben; sollte aber dies der Erhaltung des Staates gefährlich werden, so ist es im Gegentheil fromm, ihn vor Gericht zu fordern, selbst wenn das Todesurtheil gegen ihn ausgesprochen werden muss. Deshalb wird Manlius Torquatus gefeiert, dass er das Wohl des Vaterlandes über die Liebe zum Sohn gestellt hat. Ist dies richtig, so folgt, dass das Wohl des Volkes das höchste Gesetz bildet, dem sich alle, sowohl menschliche wie göttliche, unterordnen müssen. Da aber nur der höchsten Staatsgewalt obliegt, zu bestimmen, was zu dem Wohl des ganzen Volkes und zur Sicherheit des Rechts nöthig ist, und was sie dazu für nöthig hält, anzuordnen, so folgt, dass es auch nur ihr zukommt, zu bestimmen, wie Jeder seinem Nächsten in Frömmigkeit zu helfen, d.h. wie Jeder Gott zu gehorchen hat.
Daraus ergiebt sich, in welchem Sinne die höchste Staatsgewalt die Auslegerin der Religion ist, ferner, dass Niemand Gott recht gehorchen kann, wenn er die Hebung der Frömmigkeit, zu der Jeder schuldig ist, dem allgemeinen Nutzen nicht anpasst, und folglich, wenn er nicht allen Geboten der höchsten Staatsgewalt Folge leistet. Denn da wir Alle auf Gottes Gebot ohne Ausnahme die Frömmigkeit üben und Niemandem schaden sollen, so folgt, dass es Niemandem erlaubt ist, Jemand auf Kosten eines Anderen und noch weniger mit dem Schaden des ganzen Staates zu helfen. Folglich kann Niemand nach Gottes Gebot seinem Nächsten in Frömmigkeit beistehen, wenn er die Frömmigkeit der Religion nicht dem allgemeinen Nutzen anpasst. Nun kann aber der Einzelne nur aus den Beschlüssen der höchsten Staatsgewalt, welcher die Sorge für die öffentlichen Angelegenheiten obliegt, entnehmen, was dem Staate nützlich ist; deshalb kann Niemand die Frömmigkeit recht üben und Gott recht gehorchen, als nur, wenn er den Geboten der höchsten Staatsgewalt Folge leistet.
Dies wird auch durch die Praxis bestätigt. Kein Unterthan darf Dem Hülfe leisten, welchen die höchste Staatsgewalt des Todes schuldig oder für ihren Feind erklärt hat, sei es ein Bürger oder ein Fremder, ein Privatmann oder der
Weitere Kostenlose Bücher