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Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baruch de Spinoza
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bestanden aber die Mitglieder dieser Versammlungen bei den Pharisäern und Christen nicht auf Propheten, sondern nur aus gelehrten und erfahrenen Männern, und doch muss man anerkennen, dass bei dieser Auswahl das Wort Gottes ihnen zum Maassstab gedient; mithin mussten sie vor aller Prüfung der Bücher die Kenntniss des Wortes Gottes besitzen. Viertens haben die Apostel nicht als Propheten, sondern nach Ausweis des vorgehenden Kapitels, als Lehrer geschrieben, und sie wählten diejenige Weise der Belehrung, welche sie für ihre Schüler als die leichteste erachteten. Deshalb muss darin Manches enthalten sein, was man nach den Ausführungen des vorigen Kapitels rücksichtlich der Religion entbehren kann. Fünftens giebt es im Neuen Testament vier Evangelisten, und wer kann glauben, dass Gott Vieren die Geschichte Christi hat erzählen und durch Schrift den Menschen mittheilen wollen? Wenn auch das Eine Manches enthält, was in dem Anderen fehlt, und wenn auch Eines das Verständniss des Anderen befördert, so folgt doch daraus nicht, das alles in diesen Vieren Enthaltene zu wissen nöthig sei, und dass Gott sie zum Schreiben ausgewählt, damit die Geschichte Christi besser verstanden werde. Denn Jeder predigte sein Evangelium an einem anderen Orte, und Jeder schrieb das nieder, was er gepredigt hatte, und zwar einfach zur deutlichen Erzählung der Geschichte Christi und nicht zur Erläuterung der Anderen. Wird durch deren Vergleichung Manches leichter und besser verständlich, so ist dieses zufällig und nur bei wenig Stellen, welche man nicht zu kennen brauchte, ohne dass die Geschichte deshalb weniger deutlich und die Menschen weniger glücklich wären.
     
    Damit habe ich gezeigt, dass die Bibel eigentlich nur rücksichtlich der Religion oder des allgemeinen göttlichen Gesetzes Wort Gottes genannt werde, und ich habe nur noch zu zeigen, dass sie in diesem Sinne weder fehlerhaft, noch verstümmelt, noch verdorben ist. Ich nenne aber hier fehlerhaft, verdorben und verstümmelt, was so falsch geschrieben und zusammengestellt ist, dass man den Sinn aus dem Sprachgebrauch oder aus der Bibel allein nicht entnehmen kann. Denn ich will nicht behaupten, dass die Bibel, soweit sie das Wort Gottes enthält, immer dieselben Accente, dieselben Buchstaben und Worte bewahrt hat; ich überlasse dies den Masoreten und den abergläubischen Anbetern des Buchstabens zu beweisen; vielmehr ist blos der Sinn, rücksichtlich dessen eine Rede nur göttlich heissen kann, unverdorben auf uns gelangt, sollten auch die Worte, in denen dieser Sinn zunächst ausgedruckt worden, häufig gewechselt haben. Denn dies nimmt wie gesagt, der Bibel nichts von ihrer Göttlichkeit; die Bibel würde ebenso göttlich bleiben, wenn sie auch mit anderen Worten oder in einer anderen Sprache abgefasst wäre.
     
    Dass wir nun das göttliche Gesetz in diesem Sinne unverdorben erhalten haben, ist nicht zweifelhaft. Denn die Schrift selbst ergiebt unzweideutig und leicht, dass ihr Kern ist, Gott über Alles zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Dies kann aber nichts Verfälschtes sein und nicht die Schrift einer irrenden oder flüchtigen Feder; denn hätte die Bibel irgendwo etwas Anderes gelehrt, so müsste sie auch das Uebrige anders lehren; denn es ist die Grundlage der ganzen Religion, mit deren Wegnahme der ganze Bau zusammenstürzt. Eine solche Schrift wäre nicht die, von der wir hier handeln, sondern ein ganz anderes Buch. Es gilt deshalb als unerschütterlich, dass die Bibel dies immer gelehrt hat, und dass mithin hier kein Irrthum, der den Sinn verdirbt, sich eingeschlichen; denn Jeder hätte dies sofort bemerken, und Niemand hätte die Bibel so verderben können, dessen Bosheit nicht dadurch offenbar geworden wäre.
     
    Ist daher diese Grundlage als unverderbt anzuerkennen, so gilt dies auch von dem, was daraus unzweifelhaft folgt, und was auch zur Grundlage gehört; also: dass Gott besteht, dass er für Alle sorgt, dass er allmächtig ist, dass es den Frommen nach seinem Rathschluss gut geht, den Gottlosen aber schlecht, und dass unser Heil nur von seiner Gnade abhängt. Denn dies Alles lehrt die Bibel überall deutlich und hat es immer lehren müssen, widrigenfalls alles Andere eitel und ohne Grundlage wäre. Ebenso müssen ihre übrigen Sittenregeln als ächt gelten, da sie sich aus dieser allgemeinen Grundlage deutlich ergeben, nämlich: die Gerechtigkeit vertheidigen, den Armen helfen, Niemand tödten, das Gut eines Andern nicht begehren

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