Thondras Kinder - Am Ende der Zeit
streichelte Rijana, die an seine Schulter gelehnt schlief.
»Ich habe dir so viel zu verdanken«, flüsterte er. Behutsam und darauf bedacht, sie nicht zu wecken, berührte er die kleine Pfeilspitze, die er ihr vor vielen Jahren als Zeichen ihrer immerwährenden Freundschaft geschenkt hatte, als sie mit Brogan auf dem Weg nach Camasann gewesen waren. Außerdem hing an der Lederkette der Anhänger mit den verschlungenen Symbolen, den er Rijana zur Verlobung geschenkt hatte. Beim Steppenvolk hieß es eigentlich nicht Verlobung, sondern wurde als ›das Jahr der Bewährung‹ bezeichnet. Man musste mindestens ein Jahr lang zusammenleben und sich während dieser Zeit mindestens zwei Monde lang trennen, erst dann durfte man heiraten. Durch ihre Flucht war nun schon mehr als ein Jahr vergangen, aber Ariac hoffte, dass sie im Frühjahr oder zumindest zum nächsten Herbstfest in die Steppe zurückkehren konnten. Er betrachtete das lederne Armband mit den verschlungenen Verzierungen, das er von Rijana geschenkt bekommen hatte und das er stets am linken Arm trug. Noch immer besaß Ariac zudem den kleinen Stein, den ihm Rijana als Kind geschenkt hatte. Er hatte die Form eines Adlerkopfes. Ariac hatte ihn immer als Glücksbringer bei sich getragen.
Nie hätte er geglaubt, in seinem Leben noch einmal so glücklich sein zu dürfen. Die Zeit in Ursann war so furchtbar gewesen, aber hier, mit seinen Freunden und der Frau, die er liebte, glaubte er manchmal, diese vergangene Zeit endgültig hinter sich gelassen zu haben.
Mitten in der Nacht bebte die Erde. Alle, die in der Höhle schliefen, fuhren erschrocken hoch. Rudrinn und Falkann, die draußen Wache gehalten hatten, kamen hereingerannt, als bereits Erde und kleine Steine von der Decke herabfielen.
»Sollten wir nicht lieber nach draußen gehen?«, rief Saliah ängstlich.
Rudrinn ging rasch zu ihr und nahm sie vorsichtig und zögernd in den Arm. »Lieber nicht, draußen kippen reihenweise die Bäume um.«
Glücklich darüber, ihn bei sich zu haben, vergrub Saliah ihr Gesicht an seiner Schulter.
Es bebte eine lange Zeit. Einmal krachte ein größerer Gesteinsbrocken nicht weit von Broderick und Tovion herunter, die sich rasch zur Seite warfen. Angst breitete sich aus, falls der Eingang verschüttet wurde, wären sie gefangen. Aber schließlich wurde es wieder ruhig, und die ersten Boten der Morgendämmerung zeigten sich.
Ariac zog Rijana, die noch immer ein ängstliches Gesicht machte, auf die Füße. »Komm, wir sehen mal nach den Pferden.«
Alle Sieben kletterten über die heruntergefallenen Steine und traten nach draußen, wo sie heilloses Chaos vorfanden. Felsbrocken waren überall verstreut, zerschmetterte Bäume lagen kreuz und quer herum, und ihre Pferde schienen geflüchtet zu sein.
Falkann zog wütend die Augenbrauen zusammen. »Ohne Pferde brauchen wir doppelt so lange.«
»Vielleicht sollten wir den Winter über in der Höhle bleiben«, schlug Tovion vor. »Wenn es wieder anfängt zu schneien, kommen wir nicht weit.«
Dieser Vorschlag stieß zwar nicht auf große Begeisterung, aber es schien der sinnvollste Plan zu sein.
Doch plötzlich überzog Ariacs sonst meist so ernstes Gesicht ein Lächeln. Er deutete auf Nawárr, der gefolgt von den anderen Pferden auf sie zu galoppierte. Das Pferd stellte sich schnaubend vor seinen Herrn, der ihn stolz streichelte.
»Du bist ein kluges Tier«, sagte er leise, und Nawárr drückte seinen Kopf an seine Schulter.
Alle Pferde schienen das Beben gut überstanden zu haben, nur Saliahs Stute hatte eine Wunde an der Flanke.
Rijana betrachtete Nawárr genau. »Ich glaube, bald kannst du ihn wieder reiten«, meinte sie. »Die Wunden verheilen gut, und er hat etwas zugenommen.«
»Worran wird dafür bezahlen«, knurrte Ariac nicht zum ersten Mal.
»Sicher, aber versuch nicht, dauernd an Rache zu denken.« Sein Blick wurde hart und kalt. »Aber ich kann nicht anders. Scurr und Worran müssen vernichtet werden.«
Rudrinn trat zu den beiden und schlug Ariac freundschaftlich auf die Schulter. »Sicher, und wir helfen dir dabei. Aber jetzt sollten wir weiterreiten. Broderick hat schon so große Entzugserscheinungen, dass er kurz davor ist, einem Bergschaf eine Liebeserklärung zu machen, wenn er seine Kalina nicht bald wiedersieht.«
Knurrend stürzte sich Broderick auf Rudrinn. »Wenn du verfluchter Pirat nicht bald dein Schandmaul hältst, dann wirst DU niemanden mehr beglücken können.« Er deutete auf den grauen
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