Thondras Kinder - Roberts, A: Thondras Kinder
Nebel war zu dicht.
»Willst du dein Schwert nicht, Dagnar?«, fragte die Frau mit sanfter Stimme, die wie Wassertropfen perlte.
»Wie nennst du mich?«, fragte er kaum hörbar.
»In deinem früheren Leben war dein Name Dagnar.« Bevor er es verhindern konnte, legte sich ihre Hand auf seinen Arm, und er wurde von Erinnerungen durchflutet. Noch einmal sah er die Schlacht am Teufelszahn in den Ebenen von Catharga. Er sah, wie Orks, Trolle und andere Wesen der Finsternis alles überfluteten. Er sah seine Freunde und auch Nariwa. Dann sah er sich selbst in anderer Gestalt, wie er sein
Schwert in die dunklen Tiefen des Catharsees warf und anschließend getötet wurde.
Ariac war auf die Knie gesunken und hatte, ohne es zu merken, sein Schwert aus der Hand gelegt. Er bedeckte die Augen mit den Händen und schluchzte.
»Warum tust du das?«, fragte er. »Ich bin eine Sehlja, eine Seenymphe«, erwiderte das Wesen mit sanfter Stimme. »Ich habe das Schwert für dich bewahrt. Ich wusste, dass du eines Tages wiederkommen würdest.«
Ariac stand schwankend auf und blickte die Sehlja verwirrt an.
»Komm mit mir«, sagte sie und winkte ihm zu.
Zögernd und unsicher folgte Ariac ihr. Er blieb bei Rijana stehen, die auf ihrer Decke schlief, und kniete sich neben sie.
»Sie schläft, ihr geschieht nichts, die Nebelgeister werden sie beschützen«, versicherte die Seenymphe.
»Sie war Nariwa, ich konnte sie damals nicht retten«, murmelte Ariac verzweifelt und streichelte ihr über das Gesicht.
»Vielleicht wird es diesmal anders sein«, sagte die Sehlja, »aber du wirst dein Schwert brauchen.«
Ariac stand widerwillig auf, denn er ließ Rijana ungern allein. Dann folgte er der Seenymphe, die ins Wasser stieg und ihm winkte.
»Was soll das?«, fragte er ungehalten.
»Komm mit mir in mein Reich«, verlangte sie.
Ariac warf einen Blick zurück in den Nebel, wo Rijana lag.
»Du musst wieder lernen zu vertrauen«, sagte die Seenymphe sanft. »Du bist auf dem richtigen Weg. Höre auf dein Herz, dann weißt du, was richtig und was falsch ist.«
Ariac schluckte. Er hatte ein gutes Gefühl bei der Nymphe, aber er konnte einfach nicht über seinen Schatten springen. Die Sehlja kam wieder auf ihn zu.
»Hätte ich das Mädchen töten wollen, hätte ich es bereits
getan. Komm mit, Sohn Thondras, du brauchst dein Schwert.« Sie blickte ihn durchdringend an. »Wie heißt du in diesem Leben?«
»Ariac«, antwortete er kaum hörbar.
Die Sehlja nickte und lächelte, wobei ihre bläulichen Lippen schneeweiße Zähne entblößten. »Du warst in vielen Leben ein Steppenkrieger, du bist stark.«
Die Seenymphe packte Ariac an der Hand und zog ihn mit sich ins Wasser.
Sie tauchte unter, und er schrie noch: »Warte, ich kann doch nicht …« Aber dann tauchten sie einfach hinab in die schwarze Tiefe des Catharsees.
Ariac glaubte zu ersticken, aber die Sehlja zog ihn mit sich hinab in das dunkle, kalte Reich des Sees. Sie drehte sich zu ihm um und lächelte ihm zu. Er stieß die letzte Luft aus seinen Lungen, als er merkte, dass er gar nicht zu atmen brauchte. Seepflanzen wogten um ihn herum, die ein merkwürdiges, fahles Licht verströmten. Bunte Fische schwammen vorbei, und die Sehlja zog Ariac bis ganz auf den Grund des Sees. Er konnte es nicht fassen, aber dort unten, ganz in der Tiefe, war ein uraltes Schloss zu sehen. Unzählige symmetrisch geformte Türme wie aus weißem Marmor gefertigt standen dort, so als würde das Schloss noch immer auf seine Bewohner warten. Ariac staunte, aber die Nymphe zog ihn weiter mit sich, hinein in einen mächtigen Thronsaal. Auch hier drinnen wankten Wasserpflanzen in der leichten Strömung. Die Nymphe hielt auf eine kunstvoll verzierte Truhe zu. Sie bedeutete Ariac mit einigen Zeichen, näher zu kommen. Nun hatte er Boden unter den Füßen und lief schwebend und ein wenig schwerfällig auf die Truhe zu und öffnete sie. Dort lag ein Schwert, das silbern leuchtete und wie das von Rijana mit kunstvollen Runen verziert war. Als er es packte, zogen seine vielen früheren Leben wie im Zeitraffer an ihm vorbei. Dann wurde alles schwarz um ihn.
Ariac erwachte, als er wie von weitem Rijanas erschrockene Stimme hörte. Sie rüttelte ihn panisch an der Schulter und schrie unablässig. Er wollte sagen, dass sie aufhören sollte, aber dann schlug sie ihm hart auf den Rücken, und er spuckte einen Schwall Wasser aus. Anschließend musste er husten. Dann richtete er sich mühsam auf.
Rijana war erleichtert.
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