Thondras Kinder - Roberts, A: Thondras Kinder
Wache einzuteilen. Lugan war nun Ariacs Vorgesetzter, der ihm alles befehlen durfte. Der Junge aus der Steppe hatte seine Fluchtversuche mittlerweile aufgegeben. Noch war er nicht erwachsen, noch hatte er nicht seine volle Kraft. Er würde warten müssen, bis er erwachsen und rein körperlich Worran und den anderen ebenbürtig wäre. So tröstete er sich, dass das eiserne Training doch einen Sinn hätte. Eines Tages könnte er sich rächen und nach Hause zurückkehren. Das war das Einzige, das ihn noch am Leben hielt und nicht vollkommen verzweifeln ließ.
Der Tag des Jahreswechsels war wieder einmal gekommen, und alle Kinder von Camasann hatten sich ihre besten Kleider angezogen. Rijana, mittlerweile zehn Jahre alt, bewunderte ihre hübsche Freundin Saliah mal wieder, die einen dunkelgrünen Rock mit breiter Schärpe und eine weiße Bluse trug. Ihre langen blonden, leicht gelockten Haare hingen in weichen Wellen ihren Rücken hinunter. In den letzten
Jahren war Saliah noch hübscher geworden und wurde von allen Jungen umschwärmt. Bald würde sie eine wunderschöne Frau sein.
Rijana band ihre langen Haare zu einem Zopf zusammen und steckte die Kette mit der Pfeilspitze unter ihre Bluse. Zu Anfang hatte sie noch sehr häufig an Ariac denken müssen, doch mit der Zeit verblasste die Erinnerung ein wenig. Die Kette war jetzt nur noch eine Art Glücksbringer für das Mädchen. Sie folgte ihrer Freundin in den großen Speisesaal, in dem bereits eine Menge Jungen und Mädchen versammelt waren. Nach dem Essen sollten insgesamt zweiundzwanzig junge Männer getestet werden, darunter auch Falkann. Broderick, der inzwischen einen stoppeligen Bart trug, auf den er mit seinen sechzehn Jahren sehr stolz war, stand mit breitem Grinsen neben dem etwas blass wirkenden Falkann. Dieser zappelte von einem Bein aufs andere. Er war nervös.
Rudrinn, nun vierzehn, und ein weiterer Junge, der im letzten Jahr zu ihnen gestoßen war, sein Name war Tovion, lehnten an einem der hohen Holzpfeiler in der Mitte. Tovion war ein Jahr jünger als Rudrinn. Er kam aus einer Schmiede in Gronsdale und wirkte für den Sohn eines Schmieds sehr zart. Seine braunen Haare hingen ihm halblang ins Gesicht, und er war von den Freunden der ruhigste und besonnenste. Broderick, der sein Mentor geworden war, hatte ihn gleich zu seinen Freunden gezählt, denn sie verstanden sich sehr gut.
»Seine Majestät beliebt ein wenig zu zappeln«, witzelte Broderick.
Falkann versetzte ihm einen Stoß in die Seite und knurrte: »Halt’s Maul!«
Als die Mädchen die Treppe herunterkamen, riss Broderick die Augen auf. »Die schönsten Geschöpfe Camasanns lassen das Schloss erstrahlen«, fügte er hinzu und verbeugte sich übertrieben.
Saliah lachte nur hell auf und drückte ihm einen Kuss auf
die Wange. »Das ist bei nur noch vier Mädchen ja auch keine Kunst.«
Rijana bezog das Kompliment selbstverständlich nicht auf sich und stellte sich neben Rudrinn, der mal wieder finster vor sich hin brütete. Er hatte sich zwar gut eingelebt, war ein exzellenter Schwertkämpfer und Bogenschütze, doch Feste mit Tanzen und Feierlichkeiten waren ihm noch immer zuwider. Sogar ans Reiten hatte er sich gewöhnt, doch die Stunden in Geschichte, Lesen und Schreiben waren eine Qual für ihn.
»Drei Jahre«, knurrte er, »dann kann ich endlich zurück aufs Meer.«
»Meinst du im Ernst, die Piraten wollen noch einen wie dich, der so ekelhafte Sachen wie Lesen und Schreiben kann?«, zog Broderick ihn auf
»Ich hoffe, ich werde es wieder verlernen«, knurrte Rudrinn.
Das Festessen fiel in diesem Jahr wegen der schlechten Ernte etwas magerer aus, aber trotz allem wurde jeder satt. Anschließend wurden die drei magischen Schwerter geholt. Hawionn hielt die traditionelle Ansprache, in der er wie immer erklärte, dass die jungen Männer, die heute getestet wurden, frei entscheiden könnten, was weiter mit ihrem Leben passieren sollte, falls die Schwerter nicht aufleuchteten.
»Ich hoffe allerdings«, fügte der große Zauberer am Ende mit strengem Blick hinzu, »dass ihr alle hierbleibt, denn die Zeiten werden härter. Es wird noch mehr Kriege geben, und Scurrs Männer plündern alles östlich von Ursann. Wir brauchen gute Krieger, und das seid ihr alle.«
Die jungen Männer traten nun vor. Broderick schlug seinem Freund noch einmal aufmunternd auf die Schulter, und Falkann reihte sich in die Gruppe der Gleichaltrigen ein, die vor dem Podest warteten und einer nach dem anderen eines
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