Thorn - Die letzte Rose
Gesicht tiefe Schrammen hinterlassen hatten, gehörten der Vergangenheit an. Trotzdem - Thorn würde sich nie und nimmer damit abfinden können, mit biblischen Gestalt Umgang zu pflegen.
„Und was ist mit Billy the Kid?“ In ihrer Stimme lag Widerwillen, was ihrem Gesprächspartner weder verborgen blieb, noch verborgen bleiben sollte. „Schließlich haben wir beide eine Abmachung, Prokurator!“
„Zu der ich auch stehe“, beteuerte er. „Aber Sie können ihm trotz allem nicht verbieten, nach seiner Mutter zu suchen.“
Nein, das konnte sie nicht, leider. Es war Cesaros gottgegebenes Recht. Sie hätte schlecht über ihn geurteilt, hätte er nicht alles daran gesetzt, Susanna Sinclair aus der Gewalt der Vampire zu befreien.
„Meinetwegen“, nickte Thorn und erhob sich. „Aber sagen Sie ihm, er soll mir nicht in die Quere kommen.“
*
Seit letzte Nacht hatte Thorn einen Schatten.
Nicht irgendeinen Schatten, sondern einen etwa zwanzigjährigen mit Ziegenbärtchen und in einer Aufmachung, als sei er John Waynes unehelicher Enkel dritten Grades.
Seitdem sie Cesaro auf dem Schrottplatz verbal zusammengestaucht hatte, war er ihr gefolgt. Wie ein Hund - oder eben ein Schatten. In sicherer Entfernung, er wollte verhindern, abermals mit ihr zusammenzustoßen, solange sie nicht gut auf ihn zu sprechen war. Das hätte sich nicht unbedingt hilfreich auf eine Kooperation ausgewirkt.
Thorn hatte ihn gewähren lassen und nicht versucht, ihn abzuschütteln, dazu bestand kein Grund. Jedenfalls jetzt noch nicht, da die Ermittlungen ins Stocken geraten waren und ihr der Gun-Man nicht erneut eine Spur umbringen konnte.
Er folgte ihr sogar bis ins Dom-Hotel, wo sie dasselbe Zimmer wie jedes Mal, wenn sie in Köln war, reserviert hatte. Und als sie nach einigen Stunden Schlaf die Hotel-Lobby betrat, war der Knappe erneut oder immer noch da: In der Bar saß er an einem kleinen Tisch und starrte durch die große Scheibe hinaus auf den Roncalli-Platz, beobachtete die Skateboards und die Passanten, die in sämtliche Richtungen strebten sowie das Bimmel-Bähnchen, das am Platzende Touristen zu einer kleinen Stadtrundfahrt einlud.
In seiner Montur sah Cesaro hier etwa so deplatziert aus wie ein Nerd im Fitness-Center. Thorn fragte sich ernsthaft, wie er es geschafft hatte, dass ihm der Einlass gewährt worden war; vermutlich hatte er sogar die Frechheit besessen und sich auf sie berufen.
Er musste die Ritterin durch das Spiegelbild in der Scheibe erblickt haben, denn sofort wandte er sich um und stand auf.
„Signorina Thorn ...“ Zaudernd kam er ihr entgegen.
Mit voller Absicht würdigte sie ihn keines Blickes, sondern ignorierte ihn, wie er es ihrer Meinung nach nicht anders verdiente.
„Signorina Thorn!“, wiederholte er.
Sie beschleunigte zwar ihre Schritte, doch das hielt Cesaro nicht nur nicht auf, das schien ihn sogar anzuspornen. Er kam hinter ihr her, mehr noch, er stellte sich ihr in den Weg.
„Ich weiß selbst, ich hab Scheiße gebaut, das müssen Sie mir nicht vorhalten“, brummte er und ahnte nicht, wie nahe er daran war, Thorns Knie in den Unterleib zu bekommen. „Tut mir leid, aber ich wollte nur helfen ... Das müssen Sie mir glauben!“
„Und wenn? Was bringt mir das?“
„Was haben Sie gegen mich?“
Diese Frage überraschte sie so sehr, dass sie fast in schallendes Gelächter ausgebrochen wäre. Allerdings nur fast und auch nur einen Moment. Dann dachte sie um! Ein Funken Zweifel wurde irgendwo in ihrem Kleinhirn gezündet und machte sich selbständig.
Er war nun mal ein Knappe, und das Vorrecht eines Knappen bestand darin, Fehler zu machen. Niemand war perfekt, hieß es so treffend, selbst Rosenritter nicht, sonst wäre ihre Verlustrate nicht so hoch gewesen.
Vielleicht verlangte Thorn einfach zu viel.
„Du bist in Ordnung, Philip“, antwortete sie, und die Spitzzüngigkeit in ihrer Stimme war versiegt. Sie rang sich sogar dazu durch, ihn zu duzen. „Aber ich eigne mich nun mal nicht zum Teamwork.“
„Sie sind bei der ROSE“, gab er zurück und meinte wohl, es sei für einen Knappen ganz selbstverständlich, von einem Vorgesetzten geduzt zu werden, ohne sich dasselbe Recht zu nehmen.
„Ja, bin ich. Aber jeder, mit dem ich zusammengearbeitet habe, jeder, der mir etwas bedeutet hat, ist früher oder später ums Leben gekommen. Du kennst Bruder Magnus?“
Cesaro nickte stumm. Persönlich war er ihm nie begegnet, Magnus war vor seiner aktiven Zeit gestorben. Aber bestimmt
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