Thors Valhall
Dylans Gang wurde noch einmal langsamer, nur zögernd kam er näher. Thor schien ihn nicht zu bemerken. Er hatte seinen Blick nach vorne gerichtet und fixierte still den Grabstein, der ihm gegenüberlag.
Magnus Eidsvag
* 15.05.1973
† 05.04.1997
... las Dylan. Er sah frische Blumen auf dem Grab, gelbe Tulpen; wahrscheinlich die Blumen, die Henrik gebracht hatte. Daneben einen großen Strauß von roten Wildrosen. Waren die von Thor?
Dylan trat noch näher. Er konnte kaum atmen, so bedrückend erschien ihm diese Situation. Als er direkt neben der Bank stand, musste er einfach annehmen, dass Thor ihn bemerkt hatte, trotzdem wandte der sich nicht um.
Und so wischte Dylan einen dünnen Film Schnee von der Bank und setzte sich lautlos neben ihn. Jetzt blickten sie zusammen auf das Grab, still, andächtig.
Die Anspannung in Dylan hätte nicht größer sein können.
„Es tut mir leid, wenn ich störe“, sagte er schließlich und unterbrach damit die bedrückende Ruhe. Sogleich bereute er seine Worte. Thor hasste es, wenn man sich entschuldigte, wenn man herangekrochen kam, wie ein armer Wurm, wie ein hilfloses Schaf. Aber in diesem Augenblick wusste sich Dylan nicht anders zu helfen. Andere Worte erschienen ihm nutzlos und überflüssig.
„Was willst du, Perk?“, fragte Thor, ohne seinen Blick vom Grab abzuwenden.
„Wir dachten, du wirst aussteigen … Wir dachten, du willst nicht mehr mitmachen bei den Aufnahmen.“ Dylan schüttelte den Kopf. Im Nachhinein erschien ihm Thors Verhalten so klar, so sinnvoll. Doch hätte der nicht auch etwas sagen können? Er hatte sie alle im Ungewissen gelassen, war abgereist ohne eine Erklärung. Da war so typisch!
„Wir konnten ja nicht ahnen, was der Grund dafür ist.“
Dylan senkte den Kopf. Er konnte Magnus’ Grab einfach nicht mehr ansehen. Sobald er den Namen las und daran dachte, was damals geschehen war, legte sich ein schwerer Kloß in seinen Hals und in seinen Magen, und er fühlte sich bedrückt, wenn nicht gar schuldig. Obwohl er ganz genau wusste, dass ihn keine Schuld traf. Er hatte Magnus nie gekannt. Als alles geschah, hatte er nicht einmal Thor gekannt. Er war in keiner Weise in Magnus’ Tod involviert gewesen und dennoch belastete ihn dieser Vorfall sehr.
„Es war blöd, dir nachzureisen“, stellte er fest und erhob sich. „Ich werde versuchen, noch einen Flieger zu erwischen und dann wieder heimreisen.“
Er atmete angestrengt aus.
„Wir sehen uns dann hoffentlich bald wieder im Studio …“
Er warf noch einen kurzen Blick auf das Grab, wobei es ihn innerlich erschauderte, dann drehte er sich um. Inzwischen war auch sein Gesicht ganz kalt, er fror, zitterte und sehnte sich nach einem Drink, der eine wohlige Wärme in ihm entfachen würde.
Als er ein paar Schritte gegangen war, hörte er Thor plötzlich rufen.
„Perk! ?“
Er drehte sich. Thor sah noch immer auf das Grab, doch streckte er Dylan mit der einen Hand seinen Haustürschlüssel entgegen.
„Du kennst dich ja inzwischen aus“, sagte er dazu. „Fahr’ schon mal vor, ich komme bald nach.“
Dylan ging zurück, nahm den Schlüssel entgegen, wobei sich ihre Fingerspitzen kurz berührten. „Okay, ich werde warten …“
„Sie kommen meist erst abends heraus, oder nachts, wenn alle schlafen.“ Erik beugte sich weiter vor. Zusammen mit dem Mädchen fixierte er das grüne Plüschtier. „Nur wenige Menschen haben sie je zu Gesicht bekommen.“
„Und wie sehen sie aus?“
„Nun …“ Erik lächelte. „Es gibt Kleine, die sehen aus wie Zwerge, mit spitzen Ohren und langen Nasen … Es gibt aber auch Größere. Die sind hochgewachsen, so groß wie Bäume. Sie besitzen riesige Hände, manche von ihnen haben sogar zwei Köpfe …“
Das Mädchen staunte. „Und wo leben sie?“
„Unter der Erde, in Höhlen …“
„Was erzählst du ihr für einen Mist?“ Tonys harsche Stimme unterbrach Eriks Erzählung, sodass er sich sofort umdrehte und erhob.
„Hallo Papa“, rief Susan erfreut. „Erik hat mir von norwegischen Trollen erzählt.“
„Aha.“ Tony kam näher, erblickte das Stofftier, einen kleinen Kobold, in Susans Arm. „Das ist doch viel zu unheimlich.“
„Gar nicht wahr!“, konterte Susan. Fest drückte sie das neue Stofftier an ihren Körper.
„Was machst du hier?“, zischte Tony leise, dabei sah er sein Gegenüber böse an.
„Ich wollte mir den Grund unseres Streites einfach mal genauer ansehen“, erklärte Erik.
Im nächsten Moment wurde er vom
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