Thors Valhall
Selbiges an die Wange hielt, an die erhitzte Stirn. Lange nicht mehr war er so aufgewühlt gewesen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm diesmal nicht einmal der Alkohol helfen konnte.
Kurz darauf gesellte sich Thor mit an den Wohnzimmertisch, servierte ihnen Teller mit Fisch, Kartoffeln und Kräuterquark.
„Tu mir wenigstens den Gefallen und iss was.“
„Ja.“ Dylan setzte das Glas ab, stattdessen griff er nach der Gabel und schob sich eine Kartoffel in den Mund. Unverkennbar zitterten seine Hände noch immer.
„Was ist bloß los mit dir, Perk?“ Thor schüttelte den Kopf. „Du bist das reinste Nervenbündel … So kenne ich dich gar nicht.“
„Ich weiß auch nicht“, erwiderte Dylan. „Ich erkenne mich selbst kaum wieder.“
Er probierte vom gebratenen Fisch, dabei wurde ihm bewusst, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte und richtig ausgehungert war. An Nahrung dachte er kaum noch, meistens nur an einen Drink.
„Soll ich einen Arzt kommen lassen?“, erkundigte sich Thor, und er meinte es absolut ernst. Doch Dylan winkte ab. „Geht schon.“ Ein verkrampftes Lächeln folgte. „Mich interessiert viel eher, warum du Fotos von Magnus’ Leichnam aufbewahrst.“
Fragend sah er Thor an, und der unterbrach sofort das Essen, als er die Frage hörte.
„Magnus und ich, wir waren eng miteinander verbunden …“
„Aber deswegen hebt man doch nicht seine Sterbebilder auf!“ Dylan war entrüstet. „Wo hast du die überhaupt her?“
„Von der Polizei …“
„Geklaut?“
„Entwendet“, korrigierte Thor, als wäre das keine Straftat. „Magnus hätte es nicht gewollt, dass seine Fotos in irgendeiner Akte vergammeln.“
„Aber bei dir in der Schublade, da können sie liegen?“ Dylan war noch immer fassungslos. Gezielt griff er zum Glas, trank es aus. Als sein Blick die kleine Getränkebar streifte, hörte er sogleich Thors drohende Stimme.
„Noch einen Drink gibt es nicht …“
„Du hast mir gar nichts zu befehlen“, konterte Dylan. Er deutete auf die Flasche Bier, die vor Thor auf dem Tisch stand. „Außerdem trinkst du selbst …“
„Ein Bier zum Essen ist etwas anderes, als Hochprozentiges im Übermaß.“
„Weißt du, dass du mir tierisch auf den Sack gehst mit deinen klugen Sprüchen!“
„Na endlich.“ Thor lächelte. „Ich dachte schon der cholerische Dylan Perk wäre mir abhandengekommen.“
Es war kalt. Nach ihrem Streit war Dylan ins Freie getreten, hatte sich dort auf die Holztreppe gesetzt und eine Zigarette geraucht. Er dachte nicht daran, klein beizugeben. Abgesehen davon, dass er ohnehin nicht wusste, wie er sich verhalten sollte.
Alles schien aus der Bahn zu laufen. Zum wiederholten Mal verfluchte er sich selbst. Wieso hatte er sich damals überhaupt mit Thor näher befasst? Probleme waren damit doch vorprogrammiert gewesen!
Kaum hatte er das gedacht, erklang auch schon die Stimme des Mannes, den er eigentlich meiden sollte, dessen Anwesenheit er jedoch längst nicht mehr missen wollte.
„Perk, kommst du rein? Du holst dir den Tod.“
„Könnte dich doch freuen, dann wärst du mich los.“
Fahlstrøm stöhnte genervt. „Was redest du wieder für einen Mist?“
Dylan schwieg.
„Ich meine das ernst“, sprach Thor weiter. „Wir haben Anfang April, die Temperaturen sinken hier nachts noch bis unter den Gefrierpunkt.“
Als Dylan sich noch immer nicht erhob, wurde Thor wütend. Mit polternden Schritten kam er auf Dylan zu, griff ihm in den schwarzen Haarschopf und zog ihn daran ungnädig auf die Beine.
„Kommst du jetzt rein!?“
Dylan hatte vor Schmerzen nur das Gesicht verzogen. Dass Thor so impulsiv reagierte, überraschte ihn allerdings nicht. Bereitwillig ließ er sich ins Haus zerren. Mit Schrecken stellte er fest, dass er Thors grobe Berührungen genoss. Sie schmerzten, und dennoch zeigten sie ihm, dass er längst nicht nebensächlich war.
Keuchend richtete er sich auf. Der Schmerz an seinen Haarwurzeln ließ langsam nach.
„Was ist eigentlich los mit dir, Perk?“ Thor sah ihn an, als seien sie sich fremd. Vielleicht waren sie das auch. Waren sie sich jemals nah gewesen? So nah, wie man es erwarten könnte?
Dylan haderte mit der Antwort, doch dann sprang er über seinen Schatten. Was ihn bedrückte, musste er loswerden. Sehnlichst erhoffte er, dass seine Worte auf Verständnis stoßen würden.
„Ich habe Gefühle in mir, die mir absolut fremd sind.“ Er hob die Schultern ein wenig an. Seine Worte waren ehrlich; sie
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