Throne of Glass – Die Erwählte
niemand die Toten geehrt? Warum lagen keine Blumen neben ihren Köpfen? Warum war Elena Galathynius Havilliard in Vergessenheit geraten?
Am anderen Ende der Kammer waren vor der Wand Juwelen und Waffen aufgehäuft. Vor einer goldenen Rüstung hing deutlich sichtbar ein Schwert in seiner Halterung. Celaena kannte es. Langsam ging sie darauf zu. Es war das legendäre Schwert von Gavin. Er hatte es in den erbitterten Kriegen geschwungen, die den Kontinent beinahe auseinandergerissen hatten, und den dunklen Lord Erawan damit getötet. Nicht einmal nach tausend Jahren hatte es Rost angesetzt. Selbst wenn alle Magie aus der Welt verschwunden war, die Macht, die diese Klinge geschmiedet hatte, schien noch lebendig. Celaena flüsterte ihren Namen: »Damaris«.
»Du kennst dich mit Geschichte aus«, ertönte eine helle weibliche Stimme. Celaena zuckte zusammen und schrie auf, als sie über einen Speer stolperte und in eine Truhe voller Gold fiel. Sie hörte Gelächter. Celaena griff um sich, suchte einen Dolch, einen Kerzenleuchter, irgendetwas. Aber dann sah sie, wem die Stimme gehörte, und erstarrte.
Sie war unbeschreiblich schön. Silbernes Haar umgab ihr jugendliches Gesicht wie flüssiges Mondlicht. Ihre Augen waren von kristallklarem,glitzerndem Blau und ihre Haut weiß wie Alabaster. Und ihre Ohren waren ein kleines bisschen spitz.
»Wer seid Ihr?«, flüsterte die Assassinin. Sie kannte die Antwort, wollte sie aber trotzdem hören.
»Du weißt, wer ich bin«, sagte Elena Havilliard.
Sie sah genauso aus wie die Statue auf dem Sarkophag. Celaena rührte sich nicht von der Stelle, obwohl ihr der Rücken und die Beine wehtaten. »Seid Ihr ein Geist?«
»Nicht ganz«, sagte Königin Elena, trat näher und half Celaena aus der Truhe. Ihre Hand war kalt, aber fest. »Ich bin nicht lebendig, suche diesen Ort jedoch nicht heim.« Sie blickte zur Decke und ihr Gesicht wurde ernst. »Ich habe viel riskiert, um heute herzukommen.«
Celaena wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Riskiert?«
»Ich kann nicht lange bleiben – und du auch nicht«, sagte die Königin. Was war denn das für ein absurder Traum? »Im Moment sind sie abgelenkt, aber …« Elena Havilliard betrachtete den Sarkophag ihres Gemahls.
In Celaenas Kopf hämmerte es. Versuchte Gavin Havilliard da oben jemanden abzulenken? »Wer muss abgelenkt werden?«
»Die acht Wächter. Du weißt, wovon ich spreche.«
Celaena starrte sie verständnislos an, dann begriff sie. »Die Wasserspeier auf dem Uhrturm?«
Die Königin nickte. »Sie wachen über das Portal zwischen unseren Welten. Wir haben ein wenig Zeit gewonnen und ich konnte mich an ihnen vorbeistehlen …« Sie ergriff Celaenas Arme und zu deren Überraschung tat es weh. »Hör mir gut zu. Nichts geschieht zufällig. Alles folgt einem Plan. Du warst dazu bestimmt, in dieses Schloss zu kommen, genauso wie du dazu bestimmt warst, eine Assassinin zu werden und zu lernen, was du zum Überleben brauchst.«
Celaena wurde wieder schwindlig. Sie hoffte, Elena würde nichtüber Dinge sprechen, an die sie niemals wieder denken wollte, hoffte inständig, die Königin würde nichts von dem erwähnen, was sie nur mit Mühe hatte vergessen können.
»Etwas Böses wohnt in diesem Schloss, so böse, dass selbst die Sterne zittern. Seine Niedertracht hallt in allen Welten wider«, sprach die Königin weiter. »Du musst es aufhalten. Vergiss deine Freundschaften, vergiss Verpflichtungen und Schwüre. Zerstöre es, bevor es zu spät ist, bevor ein Portal so weit aufgerissen wird, dass es kein Zurück mehr gibt.« Ihr Kopf wirbelte herum, als hätte sie etwas gehört. »Es ist keine Zeit mehr«, sagte sie und von ihren Augen war nur noch das Weiße zu sehen. »Du musst diesen Wettkampf gewinnen und Champion des Königs werden. Unbedingt. Du verstehst das Unglück der Menschen. Erilea braucht dich als Champion des Königs.«
»Aber was ist …«
Die Königin suchte etwas in ihrer Tasche. »Man darf dich hier nicht finden. Sonst ist alles verloren. Trag das hier.« Sie drückte Celaena etwas Kaltes, Metallisches in die Hand. »Es wird dich vor Unheil beschützen.« Sie zerrte Celaena zur Tür. »Du bist heute Nacht hierhergeführt worden. Aber nicht von mir. Ich wurde selbst hergeführt. Jemand will, dass du Bescheid weißt; jemand will, dass du etwas siehst …« Ihr Kopf fuhr zur Seite, als ein Knurren durch den Raum hallte. »Sie kommen«, flüsterte sie.
»Aber ich verstehe nicht! Ich bin nicht … Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher