Thunderhead - Schlucht des Verderbens
Sie eben von Hexern gesprochen?«
In seiner Stimme schwang ein skeptischer Unterton mit, der dem Indianer nicht verborgen blieb. Er sah Smithback mit einem undurchdringlichen Ausdruck auf seinem vom Feuer nur schwach erhellten Gesicht an. »Glauben Sie an das Böse?«, fragte er.
»Natürlich.«
»Kein normaler Nankoweap würde jemals ein Pferd töten. Ich weiß nicht, wie man bei Ihnen Menschen nennt, die das Böse praktizieren, aber bei uns sind das Skinwalker oder Wolfskin Runner. Sie haben viele Namen und viele Gestalten - und sie stellen sich außerhalb unserer Gemeinschaft, indem sie das Gute in unserer Religion ins Gegenteil verkehren. Auch wenn Sie es nicht glauben: Die Skinwalker der Nankoweap gibt es wirklich, und das Chilbah-Tal hat für sie eine besondere Bedeutung. Die Stadt in dem Tal dahinter war einmal ein Zentrum für Hexerei, grausige Riten, Krankheit und Tod.«
Nora hörte kaum mehr, was er sagte, denn bei dem Wort »Wolfskin Runner« sah sie auf einmal wieder die pelzigen Gestalten vor sich, die sie in der dunklen Küche des alten Ranchhauses überfallen hatten und die später hinter ihrem Auto hergerannt waren.
»Ich zweifle nicht an dem, was Sie sagen«, antwortete Smithback. »In den vergangenen Jahren habe ich eine Menge seltsamer Dinge erlebt. Aber wo kommen diese Skinwalker denn her?«
Beiyoodzin blieb stumm, legte mit verschränkten Händen die Unterarme auf die Knie und rührte sich nicht. Die Stille, die folgte, dauerte mehrere Minuten an. Nora konnte die leisen, rupfenden Geräusche hören, mit denen die Pferde das Gras abfraßen. Schließlich ergriff Beiyoodzin, die Zigarette zwischen zwei Fingern und den Blick noch immer zu Boden gewandt, wieder das Wort. »Um ein Hexer zu werden, muss man jemanden töten, den man liebt. Jemanden, der einem wirklich nahe steht wie Mutter, Vater, Bruder oder Schwester. Man tötet diesen Menschen, um seine geheime Kraft zu bekommen. Wenn er beerdigt ist, gräbt man seine Leiche wieder aus und verwandelt seine Lebensenergie in das Böse.«
»Und wie geht das?«, flüsterte Smithback.
»Wenn ein Leben entsteht, fährt Liehet, die Lebenskraft, wie eine Art Wind in den Körper. Dabei bildet sich ein kleiner Wirbel, den man etwa mit einem Strudel im Wasser vergleichen kann. Dieser Strudel ist für die Spiralen an unseren Fingerspitzen und Zehen ebenso verantwortlich wie für den Haarwirbel am Hinterkopf. Dort schneidet der Hexer der Leiche die Haut ab, trocknet sie und macht eine Art Pulver daraus. Außerdem bohrt er sich aus dem Hinterkopf eine kleine Knochenscheibe, mit deren Hilfe er andere Menschen verfluchen kann. Wenn es sich bei der Ermordeten um seine Schwester handelt, vergeht sich der Hexer an deren Leiche und bereitet aus den dabei entstehenden Säften ein weiteres Pulver, das wir Alchibinlehhtsal nennen, das Leicheninzest-Pulver.«
»Gott im Himmel«, stöhnte Smithback.
»Ist das alles vollbracht, begibt sich der Hexer nachts an einen einsamen Ort, wo er sich nackt auszieht. Dann schmiert er Flecken aus weißem Lehm auf seinen Körper und legt Silber- und Türkisschmuck an, den er aus Gräbern gestohlen hat. Außerdem breitet er Wolfs- oder Kojotenfelle neben sich auf dem Boden aus und spricht gewisse Stellen aus dem Gesang des Nachtwinds verkehrt herum. Wenn er das alles richtig macht, springt eines der Felle vom Boden in die Luft und bleibt auf dem Hexer kleben. Sobald das geschehen ist, hat er die Kraft.«
»Was ist das für eine Kraft?«, wollte Nora wissen.
Beiyoodzin begann sich eine weitere Zigarette zu rollen. Der Ruf einer Eule hallte traurig durch das schier endlose Canon-Land.
»Unsere Leute glauben, dass die Skinwalker damit die Fähigkeit bekommen, sich lautlos wie der Wind durch die Nacht zu bewegen. Außerdem werden sie unsichtbar und können mit Hilfe von Zaubersprüchen Menschen aus weiter Entfernung töten.«
»Und wie soll das funktionieren?«, fragte Smithback.
»Dazu brauchen die Skinwalker etwas vom Körper ihres Opfers - das können beispielsweise Haare sein, aber auch Speichel oder Schweiß in einem Kleidungsstück. Wenn sie es haben, stecken sie es in den Mund einer Leiche und belegen dadurch ihr Opfer mit einem Fluch. Auf diese Weise können sie auch Pferde, Schafe, Häuser, ja Sogar Werkzeuge oder Maschinen verfluchen. Oder sie können die Frau oder den Mann des Opfers krank machen und auch dessen Kinder und Hunde töten.«
Abermals war der Schrei einer Eule zu hören, lauter und näher als
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