Thunderhead - Schlucht des Verderbens
breites Grinsen auf seinem Gesicht erkennen zu können.
»Stellen Sie sie ans Fußende Ihres Schlafsacks, und drehen Sie die Spitzen nach Osten«, sagte sie. »Vielleicht schrecken Sie auf diese Weise ja die Klapperschlangen ab.«
Mit einem Seufzer zog sie ihre eigenen Schuhe aus und legte sich mitsamt ihrer staubigen Kleidung in die Bettrolle. Ein blasser Halbmond ging gerade hinter einem dünnen Wolkenschleier auf. Zwei Meter neben ihr zappelte Smithback in seinem Schlafsack herum und suchte nach der richtigen Position zum Einschlafen. Nora legte sich auf den Rücken und starrte hinauf zu den Sternen. Auf einmal war sie zu erschöpft, um noch weiter über Hexen und Skinwalker nachzudenken.
»Es ist schon seltsam«, sagte Smithback. »Irgendetwas stinkt hier ganz gewaltig.«
»Sprechen Sie von Ihren Stiefeln?«
»Sehr witzig. Nein, ich meine das Zeugs, das unser Gastgeber uns erzählt hat. Er verheimlicht uns etwas, dessen bin ich mir sicher. Aber ich glaube nicht, dass er etwas mit den toten Pferden zu tun hat.«
Hoch über ihnen war das leise Dröhnen eines Düsenflugzeugs zu hören. Nora sah ein blinkendes Licht, das sich über den samtschwarzen Nachthimmel bewegte. Als habe er ihre Gedanken erraten, sagte Smithback: »Da oben hocken sie jetzt in ihren bequemen Sesseln, lassen sich Martinis und gesalzene Mandeln servieren und versuchen das Kreuzworträtsel in der >New York Times< zu lösen.«
»Apropos >Times<«, sagte Nora, »wie lange schreiben Sie eigentlich schon für diese Zeitung?«
»Seit etwa zwei Jahren, nachdem mein letztes Buch erschienen ist. Ich habe mir extra frei genommen, um an dieser Expedition teilnehmen zu können.«
Nora stützte sich auf einen Ellenbogen und sah hinüber zu Smithback. »Warum sind Sie überhaupt mitgekommen?«
»Wie meinen Sie das?« Die Frage schien den Journalisten zu überraschen.
»So, wie ich es gesagt habe. Immerhin handelt es sich ja um ein schmutziges, unbequemes und gefährliches Unterfangen. Ich jedenfalls hätte es mir an Ihrer Stelle zweimal überlegt, ob ich dafür die Annehmlichkeiten Manhattans aufgegeben hätte.«
»Soll ich etwa wegen ein paar vermeintlicher Annehmlichkeiten die größte archäologische Sensation seit der Entdeckung von Tutanchamuns Grab verpassen?« Smithback drehte sich in seinem Schlafsack um. »Aber ich schätze, es ist mehr als nur das. Schließlich konnte mir ja niemand garantieren, dass wir überhaupt etwas finden würden. Um ehrlich zu sein, die Arbeit bei einer Zeitung kann manchmal ganz schön langweilig sein. Selbst wenn diese Zeitung >New York Times< heißt und jeder einen Kniefall macht, wenn sie sich herablässt, etwas über ihn zu schreiben. Aber wissen Sie was? Das, was wir hier machen, zählt viel mehr für mich: verborgene Städte entdecken, sich Geschichten von Mord und Hexerei anhören und dann unter dem Sternenhimmel zu liegen, zusammen mit einer schönen...« Er brach ab und räusperte sich. »Naja, Sie wissen schon, was ich meine.«
»Nein, das weiß ich nicht«, sagte Nora und wunderte sich, dass sie plötzlich eine gewisse Erregung verspürte.
»Zusammen mit einer Frau wie Ihnen, wollte ich sagen. Klingt irgendwie lahm, oder?«
»Wenn man es als Anmache betrachtet, dann schon. Aber trotzdem vielen Dank.«
Sie blickte hinüber zu Smithback, dessen Silhouette sich im Schlafsack nur schwach vom Nachthimmel abhob. »Und?«, fragte Nora.
»Und was?«
»In der vergangenen Woche haben Sie sich im Sattel den Rücken ramponiert, wären fast verdurstet und um ein Haar in einen Abgrund gestürzt. Sie wurden von einem Pferd angeknabbert und mussten sich vor Klapperschlangen, Treibsand und Skinwalkern in Acht nehmen. Sind Sie immer noch froh, dass Sie mit auf diese Expedition gekommen sind?«
Smithbacks Augen schimmerten sanft im Mondlicht, als er zu ihr herübersah. »Ja«, sagte er leise.
Nora erwiderte seinen Blick und tastete mit ihrer Hand in die Dunkelheit. Als sie die seine fand, drückte sie sie sanft. »Ich auch«, flüsterte sie.
36
U m Mitternacht stand der Halbmond hoch am dunklen Himmel und tauchte das karge Ödland im Süden Utahs in ein fahles, bläuliches Licht. Über dem weit verzweigten Labyrinth aus Canons nordwestlich des Lake Powell lag tiefe Ruhe, und selbst in dem tagsüber vom Lärm der Motorboote und Jetskis erfüllten Jachthafen von Wahweap schliefen alle fest.
Nur im Tal von Chilbah stiegen zwei Gestalten langsam eine schmale Felsspalte hinauf, in der sich ein verborgener Pfad
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