Thunderhead - Schlucht des Verderbens
sie durchdringend ansah.
»Sie haben gesagt, dass jemand Ihren Pferden an fünf Stellen Stücke aus dem Fell geschnitten hat«, sagte er. »Wissen Sie, was alle diese Stellen gemeinsam haben?«
»Nein«, sagte Smithback.
»Ich weiß es«, flüsterte Nora, die vor Angst einen ganz trockenen Mund bekam. »Es sind die fünf Stellen, an denen ein Pferd einen Wirbel im Fell hat.«
Es war jetzt völlig dunkel geworden. Über ihren Köpfen wölbte sich ein grandios leuchtender Sternenhimmel. Irgendwo draußen in der Ebene fing ein Kojote zu heulen an, dem sich rasch ein weiterer hinzugesellte.
»Ich hätte Ihnen das alles eigentlich gar "nicht erzählen dürfen«, meinte Beiyoodzin. »Daraus kann mir nichts Gutes erwachsen. Aber jetzt wissen Sie wenigstens, weshalb Sie so rasch wie möglich aus dieser Gegend verschwinden sollten.«
Nora atmete tief durch. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mr. Beiyoodzin. Ich musste lügen, wenn ich Ihnen sagen würde, dass mir das, was Sie uns eben erzählt haben, keine Angst macht. Es macht mir sogar schreckliche Angst. Aber ich leite nun eben die Ausgrabung einer Ruine, für deren Entdeckung mein Vater sein Leben verloren hat. Ich bin es ihm schuldig, dass ich die Sache zu Ende bringe.«
Beiyoodzin schien diese Information zu verwundern. »Ist Ihr Vater etwa hier draußen gestorben?«, fragte er.
»Ja, aber seine Leiche wurde nie gefunden.« Etwas an Beiyoodzins Art kam ihr merkwürdig vor. »Wissen Sie denn etwas über ihn?«
»Ich weiß überhaupt nichts«, antwortete Beiyoodzin und stand unvermittelt auf. Seine Erregung schien noch zugenommen zu haben. »Aber es tut mir trotzdem Leid für Ihren Vater. Bitte denken Sie über das nach, was ich Ihnen gesagt habe.«
»Wir werden es bestimmt nicht vergessen«, erwiderte Nora.
»Gut. Und jetzt lege ich mich aufs Ohr. Ich muss morgen früh aufstehen. Deshalb verabschiede ich mich jetzt gleich von Ihnen. Sie können Ihre Pferde unten am Fluss neben dem meinen grasen lassen, es ist genügend zu fressen für alle drei Tiere da. Und morgen nehmen Sie sich, was Sie brauchen zum Frühstück. Ich bin dann schon weg.«
»Das ist nicht nötig«, begann Nora, aber der alte Mann gab ihr und Smithback wortlos die Hand. Dann drehte er sich um und richtete seine Bettrolle her.
»Der hat uns soeben den Laufpass gegeben«, murmelte Smithback, während er zusammen mit Nora zu den Pferden ging. Nachdem sie den Tieren den Sattel abgenommen hatten, schlugen sie ihr eigenes Lager auf der anderen Seite der Felsen auf.
»Ein seltsamer Typ, dieser Beiyoodzin«, murmelte Smithback, während er seinen Schlafsack ausrollte. Die Pferde waren getränkt und angebunden und fraßen zufrieden das Gras am Flussufer. »Zuerst macht er uns Angst mit seinem Gerede über diese Skinwalker, und dann verkündet er plötzlich, dass Schlafenszeit ist.«
»Stimmt«, antwortete Nora. »Und zwar kurz nachdem ich auf meinen Vater zu sprechen kam.« Auch sie legte ihre Bettrolle auf den Boden.
»Er hat uns nicht gesagt, von welchem Stamm er ist.«
»Er dürfte wohl ein Nankoweap sein. Das Dorf ist nach dem Stamm benannt.«
»Einige der Sachen, die er erzählt hat, waren ziemlich schaurig. Glauben Sie eigentlich an diesen Hexenkram?«
»Ich glaube an die Macht des Bösen«, sagte Nora nach kurzem Nachdenken. »Aber dass diese Skinwalker die Menschen mit Leichenpulver verhexen sollen, geht mir doch ein bisschen zu weit. In Anbetracht dessen, dass es in Quivira Artefakte im Wert von vielen Millionen Dollar gibt, glaube ich eher, dass wir es mit Leuten zu tun haben, die uns mit faulem Hexenzauber ins Bockshorn jagen wollen, damit sie die Ruine ungestört plündern können.«
»Das mag sein, aber dann müssten die Täter einem ziemlich ausgefeilten Plan folgen, sich Wolfsfelle anziehen, Pferde töten und ausweiden...«
Smithback verstummte, und auch Nora sagte nichts. Weil sie in der kühlen Nachtluft plötzlich zu frösteln begann, rieb sie sich die Oberarme, um wieder warm zu werden. Sie konnte einfach keine vernünftige Erklärung für das finden, was ihr in dem verlassenen Ranchhaus zugestoßen war, ebenso wenig wie für das Verschwinden von Thurber oder die pelzigen Gestalten, die sie auf der Straße an der Ranch und vor ihrer Küchentür gesehen hatte.
»Woher weht eigentlich der Wind?«, fragte Smithback auf einmal.
»Wieso?«
»Weil ich wissen möchte, wo ich meine Stiefel hinstellen soll«, erklärte der Journalist. Im schwachen Licht der Sterne glaubte Nora ein
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