Thunderhead - Schlucht des Verderbens
einen Blick auf die linksdrehenden Spiralen an der Felswand hinter dem Häuserblock, und trotz der Hitze lief ihr dabei ein kalter Schauder über den Rücken.
19
A n diesem Abend war die Expedition gezwungen, ihr Lager an einem Ort aufzuschlagen, wo es weder Wasser noch Gras für die Pferde gab. Die Tiere waren hungrig und durstig, und auch die Menschen hatten im Lauf des Tages viel von ihrem Wasservorrat verbraucht. Aragon hatte den Schädel aus der Ruine mit genau der wortlosen Missbilligung entgegengenommen, die Nora von ihm erwartet hatte. Alle krochen bald in ihre Schlafsäcke und schliefen wund geritten und erschöpft, wie sie waren, rasch ein.
Kurz nach dem Aufbruch am nächsten Morgen erreichten sie eine Stelle, an der sich der Canon in drei schmale Seitentäler gabelte. Obwohl Nora und Sloane angestrengt Ausschau nach der alten Anasazi-Straße hielten, konnten sie nirgends irgendwelche Anzeichen von ihr entdeckten; sie musste entweder vom Sand zugeweht oder von einer Sturzflut weggespült worden sein. Das GPS funktionierte noch immer nicht, und auch Holroyds Radarkarte war keine große Hilfe, denn an dieser Stelle stimmte die topografische Karte besonders schlecht mit den Bildern aus dem Space-Shuttle überein, die hier ein verwirrendes Mosaik aus verschiedenen Farben zeigten.
Auch bei ihrer Suche nach Spuren ihres Vaters wurde Nora nicht fündig. Sie wusste, dass er bisweilen dem Beispiel von Richard Wetherill und anderen frühen Forschem gefolgt war und durch in den Fels geritzte und mit einem Datum versehene Initialen seine Anwesenheit an einem bestimmten Ort kundgetan hatte. Auf dieser Expedition allerdings hatte sie bislang weder Graffiti ihres Vaters noch welche von anderem Archäologen entdecken können, und dieser Umstand machte ihr in zunehmendem Maß Sorgen. Die einzigen in den Fels geritzten Zeichen, die sie bisher gesehen hatte, waren vereinzelte Petroglyphen längst verstorbener Anasazi gewesen.
Den ganzen Tag über mühte sich die Gruppe durch ein unübersichtliches Labyrinth von Canons, deren surrealistisch anmutende Felsenwelt Nora oft wie ein seltsames Traumgebilde vorkam. Die glatten Sandsteinwände der Canons waren stumme Zeugen für die gewaltigen Kräfte, die seit Äonen auf sie eingewirkt hatten - von Fluten und Erdbeben und der beständigen Erosion durch den Wind. Bei jeder neuen Abzweigung musste sich Nora eingestehen, dass ihre Navigationsmethode immer ungenauer und fehleranfälliger wurde. Jeder Huftritt der Pferde brachte sie tiefer in diese fremde, geheimnisvolle Landschaft hinein und entfernte sie gleichzeitig ein Stück weiter von der Zivilisation mit ihrem vertrauten Komfort. Immer häufiger sahen sie jetzt verlassene, kaum zugängliche Klippenbehausungen hoch oben in den Felsen. Als Nora zum zehnten Mal an diesem Tag anhielt, um die Karte zu konsultieren, befiel sie auf einmal das unerklärliche Gefühl, in ein verbotenes Gebiet vorzudringen.
Am Abend waren sie alle so erschöpft, dass Bonarottis Essen rasch und ohne viel Worte verzehrt wurde. Weil Nora das Wasser streng rationiert hatte, war der Italiener zu seinem großen Unbehagen gezwungen gewesen, die Mahlzeit in nicht gespülten Töpfen zuzubereiten.
Nach dem Essen versammelte sich die Gruppe schweigend um das Lagerfeuer. Auch Swire gesellte sich, nachdem er noch einmal nach den Pferden gesehen hatte, dazu. Er setzte sich neben Nora und spuckte etwas Kautabak in den Sand. »Morgen früh haben die Pferde seit sechsunddreißig Stunden kein sauberes Wasser mehr bekommen. Ich weiß nicht, wie lange sie das noch durchhalten werden.«
»Die Pferde sind mir, ehrlich gesagt, scheißegal«, warf Black von der anderen Seite des Feuers her ein. »Ich frage mich viel eher, wann wir verdursten werden.«
Swire wandte sein vom flackernden Feuerschein rötlich schimmerndes Gesicht dem Geochronologen zu. »Vielleicht ist Ihnen das noch nicht richtig klar, aber wenn die Pferde verdursten, verdursten auch wir. So einfach ist das.«
Auch Nora sah zu Black hinüber, der schmal und abgehärmt aussah. In seinen Augen konnte sie aufkeimende Panik erkennen. »Ist alles in Ordnung, Aaron?«, fragte sie.
»Sie haben gesagt, dass wir morgen Quivira erreichen würden«, sagte Black mit heiserer Stimme.
»Das war bloß eine Schätzung. Es dauert eben etwas länger als vorhergesehen.«
»Unsinn«, konterte Black und sog geräuschvoll die Luft durch die Nase ein. »Ich habe Sie den ganzen Nachmittag über beobachtet, wie Sie mit Ihren
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