Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
was vielleicht dreißig oder vierzig Rockgruppen nach Einstein gedacht wird. Stell dir eine Welt vor, in der Einstein als jemand gilt, der auf sieben Alben zum Vergessen immerhin zwei, drei gute Akkorde gespielt hat.«
»Worauf willst du hinaus, Dad?«
»Sofort. Stell dir eine Gruppe vor, die so gut ist, dass du nie wieder eine andere Musik oder sonst irgendwas brauchst.«
Er ließ das ein bisschen einwirken.
»Wenn wir diesen Zustand erreicht haben, meine Liebe, dann ist alles ganz leicht zu verstehen. Und weißt du, was das Beste daran ist? Es ist alles so teuflisch einfach.«
»Wann wird denn diese Gruppe entdeckt?«
Dad wurde plötzlich todernst. »Deshalb bin ich hier. Womöglich nie, wenn wir nichts unternehmen. Hast du einen Radfahrer auf der Straße gesehen?«
»Ja.«
»Also«, sagte er und studierte den großen Chronographen an seinem Handgelenk. »In zehn Sekunden wird dieser Radfahrer überfahren und dabei getötet.«
»Und dann?« fragte ich, denn ich ahnte, dass da noch etwas fehlte.
Mein Vater sah sich vorsichtig um und senkte die Stimme. »Wie es scheint, wird hier und jetzt das Schlüsselereignis stattfinden, durch das wir verhindern können, dass jedes Stückchen Leben auf diesem Planeten ausgelöscht wird!«
Ich sah ihm in die ernsten Augen. »Du machst doch jetzt keine Witze?«
Mein Vater schüttelte den Kopf. »Leider nein. Im Dezember 1985,
deinem
1985, verwandelt sich alle organische Materie auf diesem Planeten aus unerklärlichen Gründen in ... das hier.«
Er zog einen kleinen Plastikbehälter für Gewebsproben aus seiner Tasche, der einen dicken rosa Schleim enthielt. Ich griff danach und schüttelte ihn neugierig, aber ehe ich mich näher damit beschäftigen konnte, hörten wir lautes Bremsenkreischen und einen dumpfen Schlag. Sekunden später landeten ein zerschmetterter Körper und ein zerbeultes Fahrrad vor unseren Füßen.
»Am 12. Dezember, ein paar Sekunden vor oder nach 20 Uhr 23, wird sich alle organische Materie auf diesem Planeten - jede Pflanze, jedes Insekt, jeder Fisch, jeder Vogel, jedes Säugetier und sämtliche drei Milliarden Menschen - in das hier verwandeln. Das ist für uns alle das Ende. Das Ende des Lebens. Und die fabelhafte Rockband, von der ich dir erzählt habe, wird's niemals geben. Das Problem«, sagte er, als eine Wagentür zuschlug und eilige Schritte auf uns zukamen, »besteht darin, dass wir nicht wissen, warum. Die Chrono-Garde arbeitet gegenwärtig stromabwärts nicht -«
»Wieso?«
»Die Stromabwärts-Schwimmer streiken. Sie wollen kürzere Stunden. Ich meine nicht weniger, sondern buchstäblich kürzere Stunden - so etwa fünfzig Minuten.«
»Das heißt, dass womöglich die Welt untergeht, weil die gerade streiken? Ist das nicht ziemlich blöd?«
»Im Sinne der Tarifauseinandersetzung«, sagte mein Vater, nachdem er sorgfältig nachgedacht hatte, »ist es eine geniale Taktik. Ich hoffe nur, sie gelangen noch rechtzeitig zu einer Einigung.«
»Aber das ist doch verrückt!«
Mein Vater zuckte die Achseln. »Ich bin nicht mehr in der Zeit-Gilde, Schatz. Erinnerst du dich? Ich bin ein Gesetzloser.«
»Also, was können wir machen?« fragte ich.
»Weltweite Katastrophen sind so ähnlich wie Erdbeben«, sagte mein Vater und klopfte auf seine Taschen, um seine Pfeife zu finden. »Es gibt immer ein Epizentrum, von dem alles ausgeht, auch wenn es noch so klein ist.«
Ich betrachtete den lauen Sommerabend und lauschte dem Vogelgezwitscher. Ich fing an zu verstehen. »Das hier ist das Epizentrum?«
»Genau«, sagte mein Vater. »Ich habe zahllose Zeitstrom-Modelle getestet, und das Ergebnis ist immer dasselbe - es kommt auf das Hier und Jetzt an, wenn wir die Katastrophe ab wenden wollen. Und da der Tod des Radfahrers weit und breit das einzige irgendwie bedeutende Ereignis zu sein scheint, weil Stunden vorher und nachher nichts ähnlich Auffälliges vorkommt, muss es der Schlüssel zu alledem sein. Der Radfahrer muss überleben, wenn wir den Planeten gesund halten wollen.« Wir traten hinter der Reklametafel hervor, um mit dem Autofahrer zu reden.
Der junge Mann war in sichtbarer Panik. »Oh, mein Gott!« rief er, als er den verkrümmten Körper zu unseren Füßen sah. »Ist er -«
»Im Augenblick, ja«, erwiderte mein Vater sachlich und stopfte sich seine Pfeife.
»Ich muss einen Krankenwagen holen!« stammelte der Mann. »Vielleicht lebt er ja noch!«
»Wie auch immer«, sagte mein Vater und ignorierte den Kraftfahrer vollständig.
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