Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
spät«, sagte er und schloss mir die Tür vor der Nase.
»Keine Sorge, mein Kind«, sagte Miss Havisham freundlich. »Das sagt er immer. Damit will er dich einschüchtern.«
»Das ist ihm gelungen. Kommen Sie nicht mit mir rein?«
Sie schüttelte den Kopf und legte mir die Hand auf den Arm. »Hast du den
Prozess
gelesen?«
Ich nickte.
»Dann weißt du ja, was dich erwartet. Mach's gut, meine Liebe.«
Ich bedankte mich, holte tief Luft, griff nach der Klinke und trat mit heftig pochendem Herzen in den Gerichtssaal.
18. Der Prozess des Fräulein N.
Der Prozess, Kafkas meisterhafte Darstellung bürokratischen Verfolgungswahns, blieb zu seinen Lebzeiten ungedruckt. Ja, der später so berühmte Autor, der sein relativ kurzes Leben als unbekannter Versicherungsangestellter verbrachte, hinterließ dieses und andere Manuskripte einem engen Freund mit der Maßgabe, sie zu vernichten. Wie viele andere große Schriftsteller, fragt man sich unwillkürlich, mögen Meisterwerke zu Papier gebracht haben, die nach ihrem Tod tatsächlich verbrannt worden sind? Wenn Sie das wissen wollen, müssen Sie eins der sechsundzwanzig Tiefgeschosse der Großen Bibliothek aufsuchen, wo die unveröffentlichten Manuskripte aufbewahrt werden. Unter zahllosen selbstgefälligen Schmierereien und manchen ehrgeizigen, aber gescheiterten Prosaversuchen finden Sie hier etliche Werke von reinstem Genie. Um das größte Nicht-Werk der Nicht-Nonfiction zu finden, müssen Sie sich in das dreizehnte Untergeschoss zur Kategorie MCML, Regal 2919/B12 begeben, wo Sie ein seltener und köstlicher Leckerbissen erwartet: Bunyans Fußabstreifer von John Mc-Squurd. Aber seien Sie vorsichtig! Niemand sollte allein in den Brunnen der Manuskripte hinabsteigen ...
DER WARRINGTON-KATER Jurisfiktion-Führer zur Großen Bibliothek
Der Gerichtssaal war gerammelt voll mit Menschen in dunklen Anzügen, die ununterbrochen redeten und gestikulierten.
Knapp unter der Decke lief eine Galerie um den Raum, die gleichfalls vollständig von redenden und lachenden Leuten besetzt war. Die Luft war stickig und dumpf. Zwischen den durcheinander wimmelnden Menschen war gerade noch ein schmaler Weg frei, und ich bewegte mich langsam vorwärts. Die Menge schloss sich hinter mir wieder und drängte mich geradezu vorwärts. Während ich vorbeiging, plauderten die Zuschauer über das Wetter, den vorhergehenden Fall, meine Kleidung und die Einzelheiten meines Falles, von denen sie, wie mir schien, nicht die geringste Vorstellung hatten. Am anderen Ende des Saales stand ein kleiner Tisch auf einem sehr niedrigen, gleichfalls überfüllten Podium und dahinter saß der Untersuchungsrichter auf einem hohen Stuhl, der ihn wohl größer erscheinen lassen sollte. Er schwitzte erheblich.
Hinter ihm drängten sich Gerichtsbeamte und Schreiber, die untereinander und mit den Zuschauern sprachen. Neben dem Podium stand der Mann mit den tief deprimierten Gesichtszügen, der zu Hause in Swindon an meine Türe geklopft und mich zu einem unfreiwilligen Geständnis gebracht hatte. Er hatte eine eindrucksvolle Phalanx von amtlich aussehenden Papieren im Arm. Das musste Matthew Hopkins, der Staatsanwalt, sein.
Snell stand neben ihm, aber als er mich sah, kam er zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Das ist nur eine formale Anhörung, um zu sehen, ob ein Verfahren notwendig ist. Mit ein bisschen Glück können wir erreichen, dass Ihr Fall an ein etwas freundlicheres Gericht überwiesen wird. Die Zuschauer können Sie ignorieren. Die sind nur als erzählerisches Hilfsmittel da, um die allgemeine Paranoia zu steigern, und haben mit Ihrem Fall nichts zu tun. Wir werden alle Beschuldigungen abstreiten.«
»Herr Untersuchungsrichter«, sagte Snell, als wir vor das Podium traten. »Mein Name ist Akrid S., ich bin der Pflichtverteidiger von Thursday N. in der Strafsache Nr. 142857.«
Der Untersuchungsrichter sah mich an. Dann zog er seine Uhr hervor und sagte: »Sie hätten vor einer Stunde und fünf Minuten erscheinen sollen.«
Aus der Menge erhob sich aufgeregtes Gemurmel. Snell öffnete den Mund, um zu antworten, aber ich sprach zuerst.
»Ich weiß«, sagte ich, da ich als junges Mädchen eine Menge Kafka gelesen hatte und dem Verfahren eine etwas andere Wendung geben wollte. »Es ist meine Schuld. Ich bitte das Gericht um Vergebung.«
Der Untersuchungsrichter verstand mich zunächst gar nicht und wiederholte noch einmal zur Unterhaltung der Menge: »Sie hätten schon vor einer Stunde und ... Was haben
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