Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
nur Berechnung?) zischte einen Willkommensgruß, der merkwürdig akzentuiert war. »Bitte setzt Euch und macht es Euch bequem. Ich hasse es, die Herrin stehen zu sehen.«
Arienrhod entgingen die vorsätzlichen Wortspiele nicht, die Anspielungen auf ihr barbarisches Erbe. Sie antwortete nicht, schritt aber ruhig und gelassen zu dem Sitz mit den weichen Kissen gegenüber des Schreibtischs, wo sie Platz nahm. Seit ihrer ersten Begegnung, wo sie gezwungen gewesen war, hilflos an der Finsternis umherzustolpern, trug sie lichtverstärkende Kontaktlinsen, wenn sie zu ihm kam. Und während das vertraute Purpur um sie herum Form annahm, konnte sie sogar einige Einrichtungsgegenstände des Zimmers ausmachen, aber auch lie vagen Umrisse der Quelle selbst. Doch so sehr sie sich auch abmühte, seine Gesichtszüge vermochte sie niemals zu erkennen.
»Welches ist Euer Begehren, Eure Majestät? Ich habe alle erdenklichen sensorischen Genüsse zu bieten; die Ihr Euch vorstellen könnt.« Eine breite Hand, schemenhaft mißgestaltet, gestikulierte.
»Nicht heute nacht.« Sie redete ihn ohne Titel an, verweigerte ihm denjenigen, mit dem er von seinen anderen Klienten angeredet zu werden wünschte. »Ich bemühe mich stets, Geschäft und Vergnügen zu trennen, wenn eine Vermengung nicht zwingend notwendig ist.« Sie verspürte die gesteigerte Intensität anderer Sinne in dem Raum und bemühte sich, dieser mit ihren verkrüppelten Sinnen zu begegnen.
Ein heiseres Kichern. »Welch eine Schande. Was für eine Verschwendung ... Fragt Ihr Euch niemals, was Euch entgehen mag?«
»Ganz im Gegenteil.« Sie weigerte sich, ihre Stimme auch nur eine Spur freundlich klingen zu lassen. »Mir mangelt es an nichts. Deshalb bin ich die Königin dieser Welt. Und deshalb bin ich hier. Ich habe vor, auch nachdem der restliche Schwarm der außenweltlerischen Parasiten verschwunden ist, Königin von Tiamat zu bleiben. Doch um das zu erreichen, werde ich Ihre fraglichen Dienste in einem wesentlich breiteren Rahmen als bisher in Anspruch nehmen müssen.«
»Ihr pflegt Euch so delikat auszudrücken. Wie könnte ein Mann Euch etwas verweigern?« Eisen auf Beton. »Was hattet Ihr Euch denn vorgestellt, Eure Majestät?«
Sie ließ einen Ellbogen auf der das Tastgefühl absorbierenden Armlehne des Stuhls ruhen.
Wie Fleisch. Es fühlt sich wie Fleisch an!
»Ich möchte, daß während des nächsten Balls etwas geschieht, etwas, daß das Chaos herbeiführen wird – auf Kosten des Sommervolks.«
»Ihr hattet, möglicherweise, an die Art von Unfall gedacht, der dem früheren Polizeikommandanten widerfuhr? Aber natürlich auf einer weit höheren Ebene.« Seine Stimme verriet nicht die geringste Überraschung, etwas, das ihr sowohl erfreulich, wie auch beunruhigend erschien. »Vielleicht Drogen in der Wasserversorgung.«
Aber weshalb sollte es mir Kopfzerbrechen bereiten? Schließlich war es mein Einfall.
»Keine Drogen. Das würde auch zu Lasten meines Volkes gehen, was ich unbedingt vermeiden möchte. Wir müssen die Kontrolle behalten. Ich hatte mehr an eine Epidemie gedacht, an etwas, wogegen die meisten Winter geimpft sind, die Sommermenschen dagegen schutzlos.«
»Ich verstehe«, mit einem undeutlichen Nicken. »Ja, das ließe sich arrangieren. Obwohl es natürlich einen immensen Verrat an der Hegemonie bedeutet, wenn ich Euch ermögliche, die Macht zu behalten. Es liegt sehr in unserem Interesse, die Herrschaft den Wilden zu überlassen, wenn wir uns zurückziehen.«
»Die Interessen der Hegemonie und die Ihren dürften kaum übereinstimmen. Sie sind nicht loyaler als ich es bin.« Der Weihrauchgeruch war zu stark, fast, als wollte er damit etwas verbergen.
»Unsere Interessen, was das Wasser des Lebens betrifft, sind gleichlautend.« Sie hörte ihn kichern.
»Dann nennen Sie Ihren Preis. Ich habe keine Zeit, weiter im dunkeln zu tappen.« Sie schleuderte seiner formlosen Schwärze die Schärfe ihrer Stimme entgegen.
»Ich möchte den Ertrag dreier Jagden. Alles.«
»Drei!« Sie lachte laut auf, um nicht zu verraten, daß das nicht mehr war, als sie erwartet hatte.
Wie hoch ist der Preis für das Freikaufen einer Königin, Eure Majestät?« Die Dunkelheit um ihn her paßte ausgezeichnet zum Klang seiner Stimme. Nun wurde ihr erst bewußt, wie viele Feinheiten sie zusätzlich heraushören konnte, womit sie bei weitem kompensierte, daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte. »Ich bin sicher, daß es die Polizei sehr interessieren würde, was Ihr mit
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