Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
zur Privatsuite der Quelle führte, wo sich die Büros und überwachten Versammlungsräume befanden – überwacht nicht nur von verborgenen menschlichen Augen, sondern auch von den besten Anti-Spionage-Einrichtungen, die man für Geld kaufen konnte. Als sie erfahren hatte, daß Herne ein Kharemoughi war, hatte sie ihn nach der Möglichkeit gefragt, sein immenses technisches Wissen dafür zu benutzen, die geheimsten Handel der Quelle auszuspionieren. Aber er war kein Gegner für die elektronischen Wachen, und schließlich hatte sie erkennen müssen; daß eben doch nicht jeder Kharemoughi mit dem Wissen zur Welt kam, wie man aus Eisenerz Computerterminals herstellt.
Es gefiel ihr nicht, wenn sie persönlich gerufen wurde. Die Tür zu seinem Büro ging auf, als sie nähertrat, wie sie es erwartet hatte, und öffnete den Zutritt zum inneren Büro. Sie blieb blinzelnd auf der Schwelle stehen, denn, wie immer, war der Raum für sie fast bis zur Blindheit verdunkelt. Weihrauch versüßte mit seinem Aroma die Luft fast bis zur Unerträglichkeit. Sie rieb sich mit der Hand über die Augen und hörte gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie die herrlich bunten Blumen hinter ihren Lidern zerstörte. Dann ließ sie die Hände resigniert sinken, während eine Gestalt langsam vor einem düster rötlichen Hintergrund sichtbar wurde: die Silhouette der Quelle. Anders hatte sie ihn noch nie gesehen.
Oyarzabal hatte ihr erzählt, die Quelle litte an einer Augenkrankheit, die es ihm unmöglich machte, helles Licht zu ertragen. Sie wußte nicht, ob das zutraf, oder ob er ganz einfach nur sein Gesicht verbergen wollte. Manchmal, nachdem ihre Augen sich mühsam an das herrschende Dunkel gewöhnt hatten, vermeinte sie, eine Entstellung seines Gesichts zu bemerken, aber sie war sich dessen nie ganz sicher.
»Persiponë.« Seine Stimme war ein rauhes Flüstern, und wieder konnte sie nicht sagen, ob es seine wirkliche Stimme war. Er sprach mit einem Akzent, den sie nicht identifizieren konnte.
»Hier, Meister.« Hier, in der Finsternis, bekam seine gewählte Form der Anrede einen zusätzlich bedrohlichen Unterton. Sie zupfte unbehaglich an ihrer Perücke, ihre Kopfhaut kribbelte plötzlich vor unterdrückter Spannung. Sie wußte, daß er perfekt in der Dunkelheit sehen konnte, denn sie war bei jedem Besuch seinem schonungslosen Blick ausgesetzt.
»Dreh dich um!«
Sie drehte sich gehorsam auf dem Teppich um, wobei sie sich zum wiederholten Mal fragte, von welcher Farbe er wohl sein mochte, oder ob er ganz einfach schwarz war.
»Besser ... ja, so ist es schon viel besser. Du wirst niemals eine Schönheit sein, das weißt du, aber du lernst zusehends, diese Tatsache zu verbergen. Du hast es weit gebracht. Ich hätte nie gedacht, daß du es so weit bringen würdest.«
»Ja, Meister. Danke, Meister.«
Das mußt ausgerechnet du sagen.
Sie erzählte ihm nicht, daß sie neuerdings Pollux die Kleider für sie aussuchen ließ. Seine vollkommen unpersönliche Entscheidung machte ihren eigenen unsicheren Geschmack bei der Auswahl der Kleidungsstücke, die das Beste aus ihrem keineswegs makellosen Körper machten, bei weitem wett. Mit der Perücke und dem Make-up konnte sie, wie die Quelle sagte, über ihre Durchschnittserscheinung hinwegtäuschen.
»Aber wie sonst sollte jemand mit dem Idealen verglichen werden und nicht bei dem Vergleich leiden .. .?« Seine Worte endeten in einem Seufzen, dann schwieg er einige Sekunden lang, die sich zu Stunden zu dehnen schienen. Einmal, als sie eine Liste mit Anweisungen hatte verlesen müssen, hatte er ihr erlaubt, dazu einen kleinen Leuchtstift mit rötlicher Spitze zu benützen, und da hatte sie vage das gerahmte Bild einer Frau auf dem Schreibtisch erkennen können. Es war eine Frau von unbeschreiblicher, außenweltlerischer Schönheit, mit nebelgleichem, ebenholzfarbenem Haar, dessen Locken von einem goldenen Netz gebändigt wurden, und da hatte sie dann, nicht ohne plötzliches Unbehagen, erfahren, warum sie dasselbe Haar tragen mußte, das auch ihre Vorgängerinnen getragen hatten, warum sie hier Persiponë hieß, und sie alle auch. Es hatte sie überrascht, daß ein Mann wie die Quelle eine Frau so sehr lieben, oder aber hassen konnte, daß er von ihr besessen war. Es ängstigte sie über alle Maßen, sich auch noch so kleiden zu müssen, daß sie zum Brennpunkt dieser Besessenheit wurde. Aber die Belohnungen waren so groß, daß sich das Erdulden lohnte.
»Wie läuft das Geschäft heute
Weitere Kostenlose Bücher