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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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sich seitdem verändert, bis sie manchmal kaum noch ihr Gesicht erkannte, wenn sie in den Spiegel blickte. Doch sie wußte, wenn sie die Masken abwarf, würde sie immer wieder sich selbst finden. Doch dieses innere Ding, das aus Funke Dawntreader langsam etwas Unmenschliches machte, war ihr nicht entgangen ... »Aber, um der Götter willen, warum stehst du hier im Flur rum wie eine Nutte? Du sollst nicht mich ausspionieren, sondern
für
mich. Wasch dich und hau dich eine Weile aufs Ohr! Wie willst du denn deinen Aufgaben gerecht werden, wenn du Tag und Nacht wach bleibst?« Sie selbst wünschte sich ebenfalls, friedlich schlafend oben in ihren eleganten Räumen zu liegen, anstatt das Haus zu einem undankbaren Treffen in der Morgendämmerung verlassen zu müssen.
    »Ich kann nicht schlafen.« Er senkte den Kopf und rieb sich die Augen am Ellbogen, den er gegen die Tür gestützt hatte. »Ich kann nicht einmal mehr schlafen, alles ist eine stinkende ...« Er Verstummte, sah zu ihr auf, suchte nach etwas, das er dann doch nicht fand. Sein Gesicht wurde kantig. »Zieh Leine!«
    »Dann laß eben die Drogen sein.« Sie ging den Korridor hinab.
    »Was hat
sie
gestern nacht hier gesucht?« Seine Stimme holte sie ein.
    Tor blieb unvermittelt stehen, als sie die Betonung hörte und erkannte, daß auch er den mitternächtlichen Gast erkannt hatte, der gestern durch diesen Korridor gekommen war, um die Quelle zu besuchen. Arienrhod, die Schneekönigin. Die Königin war in einen dichten Mantel gehüllt gewesen, wie ihr Leibwächter auch, doch Tor war eine Winter, und sie kannte ihre Königin. Es überraschte sie, daß Herne auch wußte, wer sie war, und daß
er
sich dafür interessierte, was sie hier tat. »Sie besuchte die Quelle. Und deine Vermutungen, was sie getan haben, sind so gut wie meine.«
    Er lachte humorlos. »Ich kann nur vermuten, was sie nicht getan haben.« Er blickte den Korridor hinab, dann wieder in die entgegengesetzte Richtung. »Der letzte Ball rückt immer näher; für Arienrhod naht das Ende von allem. Vielleicht ist sie doch nicht bereit, alles den Sommern zu überlassen.« Er lächelte ein hartes Lächeln voller unverständlicher, boshafter Freude.
    Tor blieb bei dem Gedanken stehen, daß die Veränderung nichts Unausweichliches war. »Sie muß. So war es bisher immer, andernfalls könnte es einen ... einen ... einen Krieg oder so etwas geben. Wir haben es immer akzeptiert. Wenn die Sommermenschen kommen ... «
    Er gab ein verächtliches Schnauben von sich. »Leute wie du akzeptieren Veränderungen, aber Leute wie Arienrhod schaffen Veränderungen. Würdest du alles aufgeben wollen, nachdem du einhundertundfünfzig Jahre lang Königin gewesen bist? Wenn du Zugang zu den Aufzeichnungen hättest, dann könntest du dort nachlesen, daß bisher jede Schneekönigin versucht hat, Winters Regentschaft aufrechtzuerhalten. Alle sind sie dabei gescheitert.« Er lächelte erneut. »Alle.«
    »Was weißt du schon davon, Fremder?« Tor scheuchte die Vorstellung mit einer Handbewegung beiseite. »Das ist nicht deine Welt, und sie ist nicht deine Königin.«
    »Nun ist es meine Welt.« Er blickte auf, doch über ihnen war nur die Decke. Er wandte sich ab, hob die Beine in ihre Stahlkäfige und kehrte ihr den Rücken zu. »Und Arienrhod wird ewig die Königin meiner Welt bleiben.«
     

23
    Die Zeit läuft zurück.
Mond hing dort, wo sie schon einmal gehangen hatte: festgehalten von einem Kokon, umgeben von Kontrollen im Herzen des Münzenschiffes. Alles war gleich, wie es damals gewesen war - sogar das Bild der Schwarzen Pforte auf dem Bildschirm vor ihnen. Als hätte ihre Passage durch die Pforte nie stattgefunden, als hätte sie nie den Boden einer anderen Welt betreten, als wäre sie niemals von einem Fremden in Geheimnisse eingeweiht worden, von einem Sibyl, der in ihrem Universum bis dahin überhaupt kein Existenzrecht gehabt hatte. Als hätte sie nicht durch einen einzigen, fatalen Augenblick fünf Jahre ihres Lebens verloren.
    »Mond, Liebes.« Sie hörte Elseviers Stimme über sich, die sanft drängelte und voller Spannung war. Das unsichtbare Gespinst des Kokons hatte sie bereits so weit eingehüllt, daß sie den Kopf nicht mehr drehen konnte, um Elsevier ins Gesicht zu sehen. Das Atmen fiel immer schwerer, aber vielleicht lag das auch nur an ihrer eigenen zunehmenden Spannung. Sie schloß die Augen und verspürte augenblicklich den Sog im Schiff, der sie alle ihrer Vernichtung entgegenzog, wenn sie nicht ...

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