Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
wenn es mein eigener ist.«
»Sie war kein Geist! Sie war real!« Er biß sich auf die Faust. Arienrhods Nägel vergruben sich in seinem Fleisch. »Wer?« Doch sie kannte die Antwort bereits.
»Mond.« Etwas schüttelte ihn, er schluchzte fast. »Mond. Mond, Mond! Sie war dort, bei der Jagd. Sie kam mit den Mers, aus dem Meer!«
»Ein Traum.« Sie runzelte die Stirn.
»Kein Traum, Arienrhod!« Er warf sich auf den Rücken, ihre Nägel rissen Striemen in seine Haut. »Ich sah sie, ich sah das Mal in ihrer Kehle, ich berührte sie – und das Blut. Ich berührte ihr Blut ... sie hat mich verflucht!«
Tod, eine Sibylle zu töten ... Tod, eine Sibylle zu lieben ...
»Du Narr!« Aber nicht wegen seiner Narretei. »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich konnte nicht. Ich ...«
Sie schlug ihn. Er ließ sich ungläubig in das Kissen zurücksinken. »Wo ist sie? Was geschah mit ihr?«
Er fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Die Hunde .. . hätten sie getötet. Ich hielt sie auf. Ich ... ich ließ sie dort am Strand zurück.«
»Warum?« Der Verlust einer Welt in einem geflüsterten Wort.
»Weil sie mich vielleicht erkannt hätte.« Er mußte jedes Wort herausringen. »Sie hätte es gewußt ... sie hätte gesehen, was ich bin!« Sein Spiegelbild kreiste um ihn herum, immer herum und herum.
»Du schämst dich also, mein Geliebter und der mächtigste Mann dieses Planeten zu sein?« Sie strich ihr Haar zurück.
»Ja«, sagte er und schämte sich gleichzeitig, sie anzusehen, als er es sagte. »Als ich vor ihr stand, schämte ich mich.«
»Aber du hast sie bei aufkommendem Sturm allein am Strand zurückgelassen, und dessen schämst du dich nicht.« Arienrhod umklammerte ihren Körper mit den Armen und zitterte, als hätte er sie selbst dort zurückgelassen.
»Verdammt, ich wußte nichts von dem Sturm, es war keiner gemeldet!«
Du mußtest nur zum Himmel emporsehen, um es zu wissen ...
Aber er hatte sich in seiner Kabine eingeschlossen, um nicht vor der Meute zur Schau zu stellen, wie er seine Selbstbeherrschung verlor und zitterte, und er war erst wieder herausgekommen, als der Sturm bereits um sie her getobt hatte und sie genug damit zu tun hatten, ans eigene Überleben zu denken. Und danach ... war es ohnehin zu spät gewesen. Er blickte wütend in Arienrhods zorniges Gesicht. »Ich verstehe dich nicht Warum bedeutet sie dir soviel? Selbst wenn sie deine Verwandte ist, du warst ihr nie so nahe wie ich ...«
»Niemand auf dieser Welt stand ihr näher als ich.« Arienrhod beugte sich ihm entgegen. »Hast du das nicht gemerkt? Hast du es immer noch nicht erkannt ...
ich bin Mond!«
»Nein.« Er wich vor ihr zurück, doch sie griff nach der Kette seines Medaillons und zog ihn wieder zu sich her.
»Mond ist mein Klon! Ich ließ sie als Sommer aufziehen,
sie
sollte meine Nachfolgerin werden. Wir sind in jeder Hinsicht identisch –
identisch! –
in
jeder
Hinsicht!« Sie nahm seine Hände und führte sie über ihren Körper. »Wir beide lieben dich mehr als alles andere.«
»Das ist nicht möglich ... « Er berührte ihr Gesicht und mußte erkennen, daß es doch möglich war. Sie waren Tag und Nacht, Eisen und Luft, Galle und Honig ...
Aber warum liebe ich euch dann beide?
Er senkte den Kopf.
Ich liebe euch beide, mögen die Götter
mir
gnädig sein!
»Alles ist möglich. Sogar, daß sie nach allem zu mir zurückgekehrt ist.« Arienrhod sah durch ihn hindurch, durch die Zeit. »Aber brauche ich sie denn noch ... will ich sie noch?« Sie konzentrierte sich wieder auf ihn. »Und du, Liebster?«
Er fiel gegen sie, ihre Arme umfingen ihn, ihre Hände streichelten ihn liebevoll und besitzergreifend. »Nein.«
Nicht mehr, als ich sie immer schon wollte, nur sie.
»Nur dich, Arienrhod. Du hast das aus mir gemacht, was ich heute bin. Ich brauche nur dich.«
Und mehr verdiene ich auch nicht.
33
»Los, komm, Sibylle! Ich will dir meine anderen Tierchen zeigen.« Blodweds scharfe, hohe Stimme durchbohrte Mond wie Nadeln. Sie führte sie durch die Menge der Gaffer, die sich am Höhleneingang versammelt hatte. Sie waren alle gekommen, um sie anzusehen, zeigten mit Fingern und murmelten, stellten ihr vulgäre Fragen, die sie mit dem letzten Restehen Willenskraft In ihrem benommenen Körper ignorierte: ein Preisfisch, der an Ihrer Angel baumelte. Doch keiner der Nomaden kam nahe genug heran, sie zu berühren, und sie wichen vor ihrer schwankenden Gestalt aus wie Gras von einer
Weitere Kostenlose Bücher