Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
sie sich wenigstens in Gegenwart eines Hochwohlgeborenen befanden. »Ihrer Klasse und Familie ernten Sie viel Ehre, in so jungen Jahren bereits Inspektor zu sein.«
»Habt Dank,
sadhu.«
Gundhalinus Wangen wurden rot. Er bemühte sich, einen Hustenanfall zurückzuhalten, scheiterte aber dabei. Sie beobachteten ihn mit höflicher Anteilnahme.
»Er ist mein bester Offizier gewesen. Ich habe ihn ernstlich vermißt.« Jerusha genoß Gundhalinus kurzen Blick der Überraschung, dieses Kompliment in Sandhi zu hören. Mond stand stumm dazwischen und lächelte in sich hinein. Nun bemerkte Jerusha zum erstenmal die Tunika, die sie trug, deren kräftige Farben ihre unnatürliche Blässe noch betonten. Es war die traditionelle Tracht der Winternomaden, sie hatte einst eines im Schaufenster eines Antiquitätenladens im Labyrinth ausgestellt gesehen, es war eine Rarität.
Wer bist du, Mädchen?
Doch sie hörte nur den Sekretär Sirus, der sich vorstellte und die Handfläche zum kharemoughischen Äquivalent eines Handschlags ausstreckte. Mond erstarrte unerwartet, als sie ihren Namen vernahm. Gundhalinu trat nach vorn und hielt seinerseits die Hand empor. Ein Augenblick des Unbehagens verstrich, bevor sich ihre Handflächen berührten. Sie sah, daß Gundhalinu die Finger nicht ganz ausstrecken konnte, er hatte die Finger wie Klauen gebogen. Dann sah sie die rosafarbenen Narben um seine Handgelenke.
Oh, Götter, BZ .. .
Sirus fuhr damit fort, seine Begleiter vorzustellen. Gundhalinu bewahrte sein gleichgültiges Gesicht, als der parfümierte Sprecher sich weigerte, ihm die Hand zu geben.
Hält er es etwa für ansteckend?
Jerusha runzelte die Stirn. Sie erkannte ein aufgeschlitztes Gelenk, wenn sie es sah, und die Kharemoughis, die nie aus ihrer Rolle schlüpfen konnten, sahen es auch.
»Sie ... sie haben schreckliche Härten erdulden müssen, wie ich sehe, draußen in der Wildnis, nachdem Ihr Patrouillenfahrzeug notlandete, Inspektor Gundhalinu.« Sirus' Worte waren das Sprungbrett für eine Erklärung.
»Ich ... ich war nicht verloren in der Wildnis, Sekretär Sirus«, sagte Gundhalinu hölzern. »Ich wurde von Banditen gefangengenommen. Sie behandelten mich ... übel.« Er senkte den Kopf unter ihren vereinten Blicken und preßte die Handgelenke gegeneinander. »Wäre diese junge Frau hier nicht, niemals wäre ich zurückgekommen. Sie hat mir das Leben gerettet.« Er nahm Monds Ellbogen und zog sie nach vorn. »Dies ist Mond Dawntreader Sommer.« Der Ausdruck, mit dem er sie ansah, verriet ihr das ganze Ausmaß der Ehre, die ihr zuteil wurde. Sie lächelte ihm zu, dann betrachtete sie plötzlich Sirus mit intensivem Blick.
»Eine
Eingeborene?«
grölte der Sprecher laut und betrunken. »Ein unwissendes Barbarenmädchen hat einen Kharemoughiinspektor gerettet? Das ist gar nicht amüsant, Gundhalinu-eshkrad, ganz und gar nicht.«
»Amüsant sollte es auch keinesfalls sein.« Gundhalinu hob den Kopf. Plötzlich war seine Stimme sanft und kalt. Jerusha übermittelte ihm mit den Augen eine Warnung, doch er sah sie nicht. »Sie ist keine unwissende Barbarin. Sie ist das weiseste und edelste Menschenwesen in diesem Raum. Sie ist eine Sibylle.« Er öffnete behutsam den Kragen ihrer Tunika, worauf sie stolz den Kopf hob, um die noch nicht ganz verheilte Messerwunde und die Kleeblattätowierung zu zeigen. Jerusha verzog das Gesicht.
Beim Bootsmann, jetzt hast du es getan!
Das traf sie unerwartet, ihre instinktiven Reaktionen erfüllten den Raum. Doch der Sprecher war bereits zu sehr betrunken für Respekt oder gar gute Manieren. »Was bedeutet das schon auf dieser Welt! Zieh ihr einen Anzug an und nenne sie
eshkrad,
doch das macht noch lange keine Technikerin aus ihr. Eine Sibylle auf dieser Welt ...« Er verstummte hustend, als ihn jemand von hinten anstieß und ihm einige scharfe, unverständliche Worte ins Ohr zischte.
Jerusha betrachtete das Mädchen, dessen Wangen sich färbten, als hätte sie jedes Wort verstanden. Sie trat mit steifen Armen von Gundhalinu weg und sagte in gebrochenem Sandhi: »Ich bin nur ein Behältnis für das Wissen. Dem Wissen, allein, es nicht darauf ankommt, wie arm das Gefäß sein mag. Es ist die Weisheit derer, die von mir trinken, die mich weise macht. Narren machen auch eine Sibylle zur Närrin, egal,
wo
sie sein mag.« Jerusha grinste angesichts der Ironie.
Die Gesichter der Kharemoughi drückten Bestürzung aus. »Wir wollten Sie nicht beleidigen«, beeilte Sims sich zu versichern. »Und da
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