Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
an das, was richtig und was schiefgelaufen war zwischen ihr und Funke, aus, während sie der Musik zuhörte, für die sie schon immer ein besonderes Empfinden gehabt hatte.
Sie würden über Karbunkel sprechen,
hatte Ngenet gesagt. Würde er sie also hinbringen? Oder wollte er nur versuchen, sie umzustimmen? Aber sie war davon überzeugt, ihn umstimmen zu können. Sie konnte seine Sorge um ihre Person dazu benützen, daß er sie hinbrachte, daran gab es keinen Zweifel für sie. Schon morgen könnte sie dort sein. Sie begann zu lächeln.
Aber war das richtig? Ein Teil ihres Geistes regte sich unbehaglich.
Wie konnte es falsch sein?
Ngenet wollte ihr helfen; das wußte sie. Und sie wußte nicht einmal, weshalb Funke ihre Hilfe brauchte. Sie stellte sich ihn vor, krank, ohne Geld, ohne Freunde, hungernd. Ein Tag, schon eine Stunde, konnte entscheidend sein ... Herrin, jede Sekunde Pein, die sie ihm ersparen konnte, war bedeutend, bedeutender als alles andere auf der Welt.
Ein Geräusch weiter hinten im Raum veranlaßte sie, die Augen zu öffnen. Ihr Blick glitt zum Korridor am anderen Ende, dann riß sie die Augen weiter und weiter auf, ihr Verstand weigerte sich, die Informationen zu akzeptieren, die sie ihm übermittelten. Es lebte und es bewegte sich. Es stand auf zwei Beinen, wie ein Mensch, aber seine Füße waren breit und hatten Schwimmhäute, und seine Bewegungen glichen dem geschmeidigen Wogen von Tang unter Wasser. Der graugrüne geschlechtslose Körper, der wie von einem Ölfilm überzogen schimmerte, war nackt, abgesehen von einem gewebten Gürtel, an dem allerlei undefinierbare Gegenstände befestigt waren. Die Arme des Dings endeten in etwa einem halben Dutzend peitschenähnlicher Tentakel. Perlmuttartige, pupillenlose Augen starrten sie an wie die eines Meergeistes.
Mond stand auf, doch ihr Mund war zu trocken für den Schrei des Entsetzens, den sie ausstoßen wollte. Sie schob den Stuhl zwischen sich und das Alptraumgeschöpf und griff nach ihrem Messer. Doch als es ihre Bewegung sah, stieß das Geschöpf ein gutturales Husten aus und zog sich wieder in den Korridor zurück. So verschwand es wieder aus ihrem Blickfeld, bevor sie richtig glauben konnte, daß sie es auch wirklich gesehen hatte.
An seiner Stelle stand nun ein fremder Mann in der Türöffnung. Er mochte etwa einhalb mal so alt sein wie sie, und eine störrische Strähne blonden Haares hing ihm über das linke Auge. Er trug eine Parka wie ein Fischer, doch seine Hosen strahlten unnatürlich grün im Licht des Raumes. »Nicht doch, kleines Fräulein, ich habe Sie im Visier.« Er streckte den Arm aus, sie konnte etwas Undefinierbares in seiner Hand sehen. »Werfen Sie es auf den Boden, aber ganz langsam, bitte!«
Sie zog das Messer ganz aus der Scheide, wußte die Drohung aber nicht eindeutig einzuschätzen. Er winkte ungeduldig mit der Hand, daher ließ sie es fallen. Er kam gerade nahe genug heran, daß er es aufheben konnte.
»Was wollen Sie?« Ihre schrille Stimme verriet ihr das ganze Ausmaß ihrer Angst.
»Komm raus, Silky!« Der Mann blickte zur Tür. Unverständliche Zischlaute waren die einzige Antwort. Der Mann lächelte humorlos. »Ja, sie freut sich mindestens so sehr, dich zu sehen, wie du dich über ihre Anwesenheit gefreut hast. Komm raus und schau sie dir genauer an!«
Das Geschöpf kam vorsichtig wieder in den Raum zurück. Monds Finger umklammerten die Tierköpfe an der Stuhllehne. Das Ding ließ sie plötzlich an ein zum Leben erwachtes Familienwappen denken. »Ich ... ich habe kein Geld.«
Der Mann sah sie ausdruckslos an, dann lachte er. »Oh, ich verstehe. Dann sitzen wir vorerst alle im selben Boot, wenn auch nicht aus denselben Gründen. Bleiben Sie also nur ruhig, dann wird Ihnen nichts geschehen!«
»Cress! Was um alles in der Welt geht dort vor?« Ein dritter Fremder betrat den Raum, zwar menschlich, aber von ebenso unerwartetem Aussehen. Mond sah eine kleine, plumpe Frau mit blauschwarzer Haut und einem silbernen Haarschopf, die überrascht in die Hände klatschte. »Mein Lieber, wenn du das Mädchen immer in sicherer Entfernung hältst, wirst du nie Informationen bekommen.« Doch sie musterte Mond ohne eine Spur Freundlichkeit.
Diesmal lachte auch der blonde Mann nicht. »Ich habe keine Ahnung, was sie weiß, aber sie sollte nicht hier sein, Elsie.«
»Offensichtlich. Wer bist du, Mädchen? Was tust du hier?« Die Worte verlangten aus reiner Höflichkeit nach einer Antwort, doch die Stimme war hart wie
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