Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
sein Leben lang niemanden geliebt hatte, außer sich selbst. Aber er liebte sie nicht so sehr wie das Leben.
Als er den Saal der Winde betrat, stand sie bereits wartend auf der Plattform. Hinter ihrem Rücken sang der Schacht sein Todeslied. Gelegentliche Windböen spielten mit ihrem milchweißen Haar, das schmucklos über das ebenso schmucklose zeremonielle Gewand fiel, das sie trug. Das Kleid war aus dem Gefieder arktischer Vögel gefertigt, weiß, durchsetzt mit silbernen Flecken, weich wie eine Wolke – er erinnerte sich, wie es sich auf seiner Haut anfühlte. Sie hatte es anläßlich von sechs Duellen getragen, und sie hatte es auch beim erstenmal getragen, als er der Herausforderer gewesen war.
Die Hunde standen links, ihre Häute schimmerten, ihre inneren Lider beschatteten ihre großen, pupillenlosen Augen. Sie waren hier, um in den Besitz des Siegers überzugehen – und um den Leichnam des Verlierers diskret zu beseitigen. In zehn Jahren hatte er nicht einmal ihren bellenden Dialogen zugehört, oder sich darum gekümmert, sie verstehen zu lernen. Er wußte nicht, ob sie ein Geschlechtsleben, ob sie überhaupt ein Geschlecht hatten. Man vermutete, daß ihre Intelligenz der eines Menschen unterlegen war, aber wer konnte das bei einem außerirdischen Verstand schon so genau sagen? Auf manchen Welten wurden sie als Sklaven gehalten, aber das konnte einem Menschen auch passieren. Er fragte sich flüchtig, was sie wohl dachten, als sie sich ihm zuwandten, fragte sich auch, ob sie einen Menschen überhaupt mit etwas anderem als Töten in Verbindung bringen konnten.
Er verbeugte sich formell vor Arienrhod und dem Jungen. »Ich bin hier. Benenne deine Waffen.« Zum erstenmal oblag ihm diese Aufgabe nicht. Arienrhods Blick ruhte auf ihm, während er die rituellen Worte sprach, aber in ihrem Blick lag keine Zuversicht, lediglich die erneut aufgeflackerte Kälte, die ihrem Blick schon seit der Ankunft des Jungen anhaftete. Dann schwärmte sie also immer noch für diesen mickrigen Sommerbastard? Glaubte sie denn allen Ernstes, daß er eine Chance hatte?
Plötzlich aus dem Gleichgewicht gebracht, schlug Starbuck mit einer Faust auf die andere. Verdammt, damit würde sie nicht durchkommen! Er würde den Jungen töten, und danach mußte sie wieder zu ihm ins Bett steigen, ob ihr das nun paßte oder nicht! Er bemühte sich, seinen aufsteigenden, unbesonnenen Zorn in konzentriertere Kanäle zu leiten. »Nun, wie ist deine Wahl ausgefallen?«
»Der Wind. « Funke Dawntreader lächelte flüchtig, drehte sich um und zeigte auf die Brücke. »Wir stellen uns auf die Brücke – wer den Wind besser kontrollieren kann, wird immer noch dort stehen, wenn alles vorüber ist. « Er nahm behutsam seine Flöte aus der Tasche und hielt sie empor.
Starbuck gab ein verblüfftes Lachen von sich. Der Bursche hatte wenigstens Phantasie, um seine Schwäche zu kaschieren – und seine Dummheit. Die Adligen mit ihren Pfeifen konnten eine windstille Zone um sich herum schaffen, wenn sie die Brücke überquerten, aber sie konnten niemals zwei Räume gleichzeitig manipulieren. Aber er mit seiner Kontrolleinheit, konnte die Tonfolgen und Akkorde hervorbringen, die ihn beschützen würden, und trotzdem noch angreifen. Wenn der Junge wirklich der festen Überzeugung war, mit seiner Muschelflöte besser ausgerüstet zu sein als ein Adliger, dann würde er die größte Überraschung seines Lebens erleben – und die letzte.
Arienrhod wich zurück, ihr Gewand wogte wie der Wind, wie die durchsichtigen Windfänge über der Brücke, und ließ die beiden Männer allein. »Möge der Bessere gewinnen.« Ihre Stimme war ausdruckslos.
Ohne darauf zu warten, daß Funke die Initiative an sich reißen konnte, schritt Starbuck an ihm vorbei und auf die Brükke hinaus. Er überquerte sie fast fahrlässig, während sein Finger den Schallknopf seines Gürtels drückte. Einmal griff der Wind nach ihm, und sein Atem stockte, aber er war sicher, daß niemand sonst es bemerkt hatte. Dann blieb er stehen, nachdem er bereits mehr als die Hälfte der Brücke hinter sich gelassen hatte, und wandte sich um. So blieb er stehen und wartete, eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere drückte den schützenden Knopf. Er war noch nie zuvor über dem Abgrund stehengeblieben. Die Eingänge zu den Mechanismen der Stadt schienen sich endlos unter ihm hinzuziehen, der Steg, auf dem er stand, schien viel zu schmal. Er drückte den Schallknopf automatisch, liebkost vom Druck
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