Tief im Hochwald - Kriminalroman
Missbrauch an Minderjährigen ausgehen, dann könnten die Opfer heute zwischen einundzwanzig und fünfzig Jahre alt sein. Ansonsten wäre ich davon ausgegangen, dass alle männlichen Hellersberger ab zwölf Jahren betroffen sein könnten, wobei ich die jüngsten als Täter sowieso ausgeschlossen hätte, aber auch die haben Väter oder große Brüder«, erläuterte die Psychologin.
»Sicher gibt es ein Einwohnerverzeichnis der heutigen Bewohner von Hellersberg. Gab es dieses auch schon für die letzten dreißig Jahre?«, fragte Vanessa.
»Seit der Einführung von Computern bestimmt, aber damit kommen wir vermutlich nur fünfundzwanzig Jahre zurück«, gab Gunter zu bedenken.
»Das könnte reichen, wenn man davon ausgeht, dass die Opfer wohl zwischen neun und vierzehn Jahre alt waren, als sie von Josef missbraucht wurden, und in der Regel frühestens mit achtzehn von hier weggezogen sind«, warf Hajo ein.
»Die Opfer könnten bis zu achtzehn Jahre alt gewesen sein, es gab doch auch ältere Messdiener, oder?«, fragte Gunter. »Darüber hinaus wäre es ja kein Missbrauch an Minderjährigen mehr gewesen.«
»Ich bin nicht sicher, bis zu welchem Alter die Jugendlichen sich das hätten gefallen lassen, ohne sich zur Wehr zu setzen oder einfach nicht mehr hinzugehen. Ich glaube, wir können Opfer über vierzehn Jahre quasi ausschließen«, ergänzte Charlotte.
»Sagt mal, wir sprechen immer nur von Jungen, wie war es eigentlich mit Mädchen?«, fragte Vanessa.
»Ich gehörte damals dem Pfarrgemeinderat an, dazu kann ich etwas sagen«, meinte Hajo. »Erst seit 1994 waren Mädchen als Messdienerinnen überhaupt erlaubt, aber Josef war der Meinung, das lenkt die Jungen nur ab, darum hat er sich eine Weile noch geweigert. Ab 1998 kam kein Pastor mehr darum herum, Mädchen als Messdienerinnen zu nehmen, und ich muss sagen, sie machen ihre Sache auch richtig gut. Das müsste ungefähr zu der Zeit gewesen sein, als Marlene zu Josef kam, weil er langsam zu alt wurde, wie er damals behauptete, und dringend Unterstützung im Haus wollte. Meine Frau war mit Marlene befreundet, und es war immer ein offenes Geheimnis, dass Josef und Marlene ein Paar waren. Vielleicht hat er ab da keine Jungen mehr angerührt, und mit Mädchen hatte er wahrscheinlich wirklich nichts zu tun.«
»Aber es muss doch auch weibliche Kommunion- und Firmkinder gegeben haben«, meinte Charlotte.
Hajo überlegte einen Moment. »Das stimmt wohl, aber Marlene wäre viel zu eifersüchtig gewesen, ich glaube nicht, dass sie jemals zugelassen hätte, dass Josef mit den Mädchen etwas unternimmt. Und ich kann mich wirklich auch nur an diese Jungenaktionen erinnern, wenn ich jetzt so überlege.«
»Wenn man erst einmal weiß, worauf man achten soll, fallen einem viele Details auf, nicht wahr?«, sagte Charlotte.
Hajo nickte. »Ich habe ein paar interessante Gespräche mit meinem Sohn und seinen früheren Mitschülern geführt, möglicherweise hilft euch das bei den Ermittlungen weiter, das sprengt aber jetzt sicher den zeitlichen Rahmen, weil es teilweise einfach nur Anekdoten waren, deren Informationsgehalt vielleicht nicht besonders hoch ist.«
»Das klingt wie eine private Zeugenvernehmung, das finde ich sehr gewagt«, wandte Charlotte ein.
»Zeugenvernehmung würde ich es nicht nennen, aber die Jungs kennen mich zeit ihres Lebens. Die vertrauen mir. Die haben früher schon auf meinem Hof gespielt und wissen, dass ich immer ein offenes Ohr für sie habe. Sie dachten, sie würden Johannes noch bei mir erreichen, darum haben sie angerufen. Und daher weiß ich inzwischen, dass auch Hartmut und Roland wohl davon wussten, weil die anderen ihnen davon erzählt hatten, sie selbst aber keine Opfer waren. Oliver ist ja evangelisch, der hatte keinen Kontakt zum Pastor, den können wir als Opfer beziehungsweise Täter eher ausschließen.«
Charlotte versuchte nach wie vor, sich ein genaueres Bild des Täters zu machen. Sie hielt es für unwahrscheinlich, dass es sich um einen Familienangehörigen eines der Opfer handelte, weil dieser sich eher den Pastor sofort vorgenommen hätte. Vanessa fasste die Gerüchte, die im Dorf kursierten und die Philipp ihr zugetragen hatte, zusammen. An der Wand stand inzwischen eine fast unüberschaubare Liste mit Namen möglicher Täter. Da niemals körperliche Gewalt angewandt wurde, die richtig Kraft erfordert oder auch nur Aufschluss über die Rechts- oder Linkshändigkeit, das Geschlecht, die Größe oder Statur des Täters
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