Tief im Hochwald - Kriminalroman
müssen mindestens eine Viertelstunde laufen, bis wir wieder Empfang haben«, wandte Diana ein. »Bis dahin könnte es zu spät sein. Wer weiß, wenn wir Rommelfanger früher gefunden hätten, würde er vielleicht noch leben. Diese Polizistin hat zwar gesagt, er war schon länger tot, aber wir haben ja auch einige Zeit auf dem Radweg gestanden, bis wir an die Ruwer runter sind. Ich geh da jetzt rein!« Diana versuchte, Philipps Hand abzuschütteln, der sie aber weiter festhielt.
»Ich lass dich nicht allein gehen, ich komme mit.«
Diana spürte, dass nicht nur Philipps Stimme zitterte. Auch sie hatte Angst, aber in diesem Moment weniger um sich selbst als um ein mögliches weiteres Opfer.
»Die Kommissarin hat uns gestern gelobt und gesagt, wir hätten alles richtig gemacht. Also sollten wir auch heute unserer Intuition vertrauen.«
Diana zog Philipp an der Hand, die dieser fest umklammerte, in den schmaler werdenden Eingang des Stollens hinein. Ihre Körper warfen Schatten und verdunkelten den Gang zusätzlich. Auf den ersten drei, vier Metern fiel noch Licht in den Stollen, aber danach führte der Weg steil bergab zwischen den Felsen hindurch, die einen kaum mehr als einen Meter breiten Durchgang ließen, und hinein in völlige Dunkelheit. Die Wände des Schieferberges waren glatt behauen worden, der schwarze Stein schluckte jedes Licht.
»Hörst du? Schon wieder dieses Rufen! Sollen wir antworten, damit derjenige weiß, dass Hilfe kommt?«, schlug Diana vor.
»Und was, wenn er nicht allein ist? Wir sollten uns eher anschleichen, dann können wir notfalls noch abhauen.«
Gute zwanzig Meter weit tasteten sie sich durch den schmalen Gang und die Dunkelheit, die Köpfe leicht eingezogen. Philipp musste sich zusätzlich nach vorn neigen, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Als der Gang fast rechtwinklig nach links abbog und sich in eine künstliche Höhle wie in einen Raum öffnete, blieb Diana unvermittelt stehen. Philipp prallte gegen sie und gab einen kurzen Schreckenslaut von sich. Dianas Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit des Ganges gewöhnt, und sie ließ den Blick im Dämmerlicht der Höhle schweifen. Beide traten zwei Schritte nach vorn. Der Raum war annährend quadratisch, maß vielleicht zehn mal zehn Meter und schien an der höchsten Stelle halb so hoch zu sein. Ihnen direkt gegenüber erkannten sie eine halbrunde Vertiefung in der Wand, in der ein hölzernes Kreuz lehnte, groß genug, um einen echten Menschen daran zu kreuzigen. Über den Querbalken hingen rechts und links dicke Seile herab. Rechts davon an der Stirnwand warf ein Kerzenleuchter mit vier dicken Wachskerzen flackerndes Licht auf die Nische, die wie eine Apsis den Blick auf sich zog. An der rechten Wand ging neben dem Leuchter ein weiterer Gang tiefer in den Berg hinein. In der Mitte des Raumes lagen zwei Matratzen und einige Decken, eine geschnitzte Marienfigur stand auf einem Felsvorsprung zu Dianas und Philipps Linken.
»Keine gute Idee, hier hereinzukommen.«
Diana und Philipp erstarrten. Erst jetzt spürten sie den kühlen Luftzug in ihrem Rücken, von wo die Stimme kam. Es musste unmittelbar hinter ihnen einen weiteren Zugang zu dieser Höhle geben, den sie bislang nicht wahrgenommen hatten.
»Nein, nein, nicht umdrehen, ihr bleibt genau so stehen.« Etwas Kaltes, Rundes bohrte sich in ihren Rücken wie ein Pistolenlauf. Diana kam die Stimme einerseits vertraut vor, zugleich hatte sie einen irren Klang, wie Diana ihn nie zuvor gehört hatte. Die Männerstimme lachte mit überschnappenden Lauten, die unwirklich widerhallten.
»Willkommen in meinem Dom. Ich kann euch nur Wein und Brot anbieten. Das heißt, den Wein trinke ich natürlich allein.« Wieder folgte dieses unwirkliche, glucksende Lachen.
Diana hörte neben sich ein leises Plätschern.
»Wer wird sich denn gleich vor Angst in die Hose machen?«, höhnte die Stimme hinter ihnen.
»Ich –«, begann Philipp, aber die Stimme schnitt ihm das Wort ab.
»Nichts sagen, nicht bewegen. Ihr versteht sicher, dass ich euch nicht mehr gehen lassen kann, so kurz vorm Ziel? Aber ihr könnt zusehen, so wie ich das in eurem Alter auch immer musste.«
Wieder dieses Lachen. Diana war sich sicher, die Stimme zu kennen, aber der Mann versuchte, seine Stimme zu verstellen und zu klingen wie ein kleiner Junge. Außerdem schien er etwas vor dem Gesicht zu tragen, was seine Stimme dämpfte. Diana drückte Philipps Hand ganz fest und fühlte, wie dieser bebte. Sie überlegte,
Weitere Kostenlose Bücher