Tief in meinem Herzen
Welches Recht hatte sie, dem Kind den Vater vorzuenthalten? Und wenn Cesario wirklich Sophies Vater war, dann könnte Sophie nur davon profitieren, ihn in ihrem Leben zu haben.
In diesem Moment verschwanden die Lichter des letzten Wagens in der Dunkelheit. Jetzt saß sie hier fest. In Cesario Piras’ unheimlicher Festung. Ein eisiger Schauer fuhr ihr über den Rücken. Dabei hatte sie doch gar keinen Grund, sich zu fürchten, versuchte sie sich zu beruhigen. Der Gedanke an Cesarios vernarbtes Gesicht und diese kalten grauen Augen machten sie jedoch nervöser, als sie zugeben wollte.
„Was hat sie denn?“, tönte es von der Tür her.
Erschrocken fuhr sie herum. Cesario wirkte hier im Kinderzimmer noch größer und Furcht einflößender als zuvor in der Bibliothek. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an und rang nach Luft.
Seinem scharfen Blick war ihre Reaktion nicht entgangen, und er lächelte grimmig.
„Sie ist nicht gerade hübsch, was?“, fragte er spöttisch und fuhr sich mit der Hand über die Narbe im Gesicht. „Es tut mir sehr leid, dass du meinen Anblick so schockierend findest.“
„Ich … natürlich nicht“, stotterte sie und errötete. Hatte er etwa geglaubt, dass sie ihn wegen seiner Narbe so erschrocken ansah? In Wahrheit war es tatsächlich seine maskuline Aura, die sie durcheinandergebracht hatte. Schon wieder hatte sie sich vorgestellt, wie er sie küsste. Mit einer Leidenschaft, von der sie bisher nur in Büchern gelesen hatte. „Sophie wacht immer um diese Zeit auf“, beeilte sie sich, zu erklären. „Der Arzt hat gesagt, dass viele Babys in den ersten Monaten an Koliken leiden. Es wird bald vorbei sein. Trotzdem kann ich es kaum ertragen, wenn sie so weint“, gestand Beth. „Ich habe schon alles versucht, aber heute Nacht lässt sie sich einfach gar nicht beruhigen.“
Cesario entging nicht, wie blass Beth aussah. Sie musste furchtbar müde und erschöpft sein. Schließlich hatte sie sich die ganze Zeit allein um das Kind gekümmert. Dennoch lag nicht einmal ein Anflug von Ungeduld in ihrer Stimme. Die dunklen Augenringe ließen sie noch zerbrechlicher wirken, als sie ohnehin schon war.
Sie hatte ihre schäbige Kleidung gegen einen ebenso schäbigen Morgenmantel ausgetauscht, der wohl einmal hellrosa gewesen war, durch das viele Waschen jedoch einen leichten Grauton angenommen hatte. Der festgezurrte Gürtel betonte ihre schlanke Taille noch zusätzlich. Sie sieht aus, als könnte ein Windhauch sie umpusten, dachte Cesario unbeeindruckt. Sie war definitiv nicht der Typ von Frau, auf den er normalerweise stand. Dennoch hatte sie etwas an sich, das ihn anzog.
Sie war völlig ungeschminkt. Trotzdem wirkte ihre Haut glatt wie Porzellan. Auf den ersten Blick hatte sie recht unscheinbar auf ihn gewirkt. Erst jetzt bemerkte er ihre Anmut, ihre schlichte Eleganz und diese Bescheidenheit, die auf unerklärliche Weise anziehend auf ihn wirkte.
Cesario runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, als wollte er sich von diesen absurden Gedanken befreien. Mit ein paar Schritten hatte er das Kinderzimmer durchquert und warf einen prüfenden Blick auf Sophie, deren Weinen mittlerweile in ein ohrenbetäubendes Schreien übergegangen war.
„Vielleicht hat sie Hunger?“, vermutete Cesario.
„Ich habe schon versucht, ihr ein Fläschchen zu geben, aber sie mochte nicht. Wahrscheinlich hat sie Blähungen“, erklärte Beth matt.
„Gib sie mir mal“, forderte Cesario sie ungeduldig auf.
Überrascht sah Beth ihn an und drückte Sophie instinktiv fester an sich. Es war ihr unangenehm, einen Fremden das Kind halten zu lassen. Wenn jedoch bewiesen sein sollte, dass Cesario Sophies Vater war, dann hätte er ohnehin jedes Recht, sich um Sophie zu kümmern, erinnerte sie sich.
„Es wird ihr vielleicht nicht gefallen, wenn jemand sie hält, den sie nicht kennt“, murmelte sie und reichte ihm das Kind.
„Ich bezweifle, dass sie deswegen noch mehr schreien wird, als sie es ohnehin schon tut“, entgegnete Cesario unbeeindruckt.
Das Kind war so klein und zart, dass er sein Gewicht kaum spürte. Sie schien so verletzlich zu sein. Er spürte, wie sich sein Beschützerinstinkt in ihm regte, und bereute es fast, darum gebeten zu haben, das Kind zu halten. Die Situation weckte zu viele schmerzliche Erinnerungen an Nicolo.
War sie wirklich seine Tochter?
Er beugte den Kopf zu ihr herunter und legte seine Wange leicht auf Sophies weiches Haar. Ihr süßer Duft – eine Mischung aus Milch und
Weitere Kostenlose Bücher