Tiefe
hörte er die Stimme des Soldaten. Es war schwer, alle seine Worte zu verstehen, er sprach mit leiser Stimme, als ahnte oder fürchtete er, daß sich jemand in der Nähe befand und ihn belauschte.
Das Deutsch, das er in seinen verhaßten Schuljahren gelernt hatte, reichte nicht, um zu verstehen, was gesagt wurde. Außerdem sprach der Soldat einen Dialekt, die Stimme war gleitend, manche Konsonanten waren fast unhörbar, als hätte er sie verschluckt.
Lars Tobiasson-Svartman drückte die Wange gegen die kalte Wand. Eigentlich hätte er mit der Faust das Fenster einschlagen, die Tür mit einem Tritt öffnen und den Mann, der vor dem Kamin hockte, hinauswerfen wollen. Aber er verhielt sich still und blieb in der Dunkelheit neben der Hütte, bis das Licht im Kamin fast erloschen war. Sie lag auf der Pritsche, der deutsche Soldat, wie er damals selbst, auf Flik-kenteppichen und alten Fellen vor dem Kamin.
Er kehrte zu seiner Felsspalte zurück. Er war sehr müde, die Gelenke schmerzten von der Kälte. Wind war aufgekommen. Als es hell wurde, verwischte er seine Spuren und bewegte sich weiter hinaus zu der nordöstlichen Felswand, die steil ins Meer abfiel. Dort gab es tiefe Spalten, fast wie Höhlen. Er erreichte kletternd eine davon, die in Lee lag, rutschte zu der gefrorenen Wasserlinie hinunter, sammelte Treibholz und machte ein Feuer.
Mit bloßem Auge konnte er sehen, daß das Eis sich fast bis zum Leuchtturm von Sandsänkan erstreckte. Das offene Meer zeichnete sich wie ein schwarzer Gürtel ab, eine Linie von Nordost nach Südwest. Weit draußen an der Eiskante ahnte er ein paar schwarze Flecken, die sich bewegten, vielleicht ein kleinerer Bestand an Robben.
Er holte den Feldstecher hervor und suchte langsam den Horizont ab. Da war nur das Meer. Keine Schiffe.
Das Meer war Leere, eine Erinnerung an das, was keine Grenzen hatte.
Er wärmte sich am Feuer und schlief schließlich ein. Die Klippen ringsum schirmten ihn vor dem Wind ab. Der Rauch verschwand übers Meer, verdünnt, fast unsichtbar.
Er wurde wach, als das Feuer im Begriff war zu erlöschen. Mehr als eine Stunde lang kroch er auf den vereisten Klippen herum und sammelte Treibgut, Äste, zerbrochene Fischkästen, Teile einer Reling. Von dem Holz baute er sich eine Hütte, in der er sich zusammenkauern konnte. Er kochte Kaffee und machte die letzte Konservendose auf. Jetzt hatte er nur noch Zwieback und einen gefrorenen Butterklumpen. Er trank den Kaffee in langsamen Schlucken, legte Brennholz nach und kauerte sich zusammen, die Füße in einen der Reisesäcke gesteckt.
Er nahm eine Beurteilung seiner Situation vor. Spätestens an diesem Abend mußte er sich zu erkennen geben. Er konnte das Haus nicht noch eine weitere Nacht überwachen. Es bestand große Gefahr, daß er erfrieren würde. Er hatte den Tag vor sich, um einen Entschluß zu fassen, seine Erzählung zu erschaffen. Ein Mann, der übers Eis gewandert kam, mußte eine plausible Erklärung für sein Handeln haben, wenn er sich zu erkennen gab.
Er versuchte, ganz ruhig zu denken. Der Soldat und Sara Fredrika hatten, solange er durchs Fenster gesehen hatte, nicht beieinander gelegen. Sich nicht berührt, nicht einmal gelacht. Der Mann wirkte verzagt.
Angst, dachte er. Vielleicht war das, was ich bei dem deutschen Soldaten in Uniform gesehen habe, ganz einfach Angst ?
Plötzlich bewegte sich etwas neben ihm. Er zuckte zusammen. Die Katze war wiedergekommen. Sie war hungrig, schnupperte nach Essensresten in der Konservendose und an dem Messer, mit dem er den Deckel geöffnet hatte.
Die Katze sah ihn mit ausdruckslosen Augen an. Sie war wie eine der Porzellanfiguren auf Kristina Tackers Regal. Eine, die zu Boden gefallen war, ohne zu zerbrechen.
Die Wut kam wie eine Explosion.
Er packte das Messer, hielt die Katze am Nackenfell fest und schlitzte ihr den Bauch auf. Die Eingeweide begannen herauszuquellen, die Katze konnte nur noch ein Fauchen von sich geben, ehe sie tot war. Es zuckte ein paarmal an ihrem Kiefer, die Augen waren offen. Er schleuderte den Kadaver über die Klippen hinunter aufs Eis. Dann wischt er das Blut von der Hand und vom Messer ab.
Es gab keine Katze, dachte er zornig. Das hat sie damals gesagt, als ich sie fragte.
Es gab keine Katze. Es gibt keine Katze. Es gibt nichts.
Die Wut verflog.
Der Tod der Katze war schon Erinnerung.
Als er ein Kind war, hatte er manchmal Vögel in der Schlinge gefangen und dann getötet, indem er ihnen mit der Büroschere des Vaters die
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