Tiefe
nicht. Sie können jedenfalls ganz beruhigt sein. Ihre Tochter wird überleben. Sie ist stark, hat einen großen Lebenswillen.«
Die Erleichterung war unbeschreiblich. Einmal hatte er sich bei einem Sturz von einer Treppe einen Arm verletzt. Die Schmerzen waren sehr stark gewesen, und er hatte vom Schiffsarzt eine Morphiumspritze bekommen. Er hatte nie das Gefühl von Befreiung vergessen, als die Injektion zu wirken begann. Jetzt war es wieder so, als hätte ihm jemand eine Droge in die Blutbahn gepumpt. Der Magenkrampf verschwand, Doktor Edman stand wie ein lächelnder weißgekleideter Erlöser vor ihm.
»Die beiden müssen noch eine Weile im Krankenhaus bleiben«, fuhr der Oberarzt fort. »Wir lernen viel bei jeder Gelegenheit, wenn wir ein zu früh geborenes Kind beobachten können.«
Er verließ Doktor Edman und ging hinaus auf den Korridor.
Ich verdiene es nicht, dachte er. Aber meine Tochter will leben, sie hat vielleicht eine größere Lebenskraft als ich.
Er ging hin, um das Wunder zu schauen.
Er fand, sie gleiche einem getrockneten Pilz. Aber sie ist mein, dachte er. Sie ist mein, und sie lebt.
Kristina Tacker lag in einem Einzelzimmer. Sie war bleich und müde.
Er setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. »Es ist ein schönes Kind«, sagte er. »Ich will, daß sie Laura heißt.«
»Wie wir es beschlossen haben«, antwortete sie mit einem schwachen Lächeln.
Er blieb nicht lange. Kurz bevor er ging, sagte er, daß er jetzt seinen Auftrag antreten müsse. Er hätte eigentlich schon auf dem Weg sein sollen, konnte aber einen Aufschub erwirken, da er wissen wollte, ob das Kind überlebte.
»Ich bin dir dankbar, daß du geblieben bist«, sagte sie.
»Alles wird gut«, erwiderte er. »Ich bin bald wieder zurück.«
Er verließ das Krankenhaus.
Er empfand eine Erleichterung, als würde er sich langsam in warmes Wasser gleiten lassen.
Nachts lief er nackt in der Wohnung herum. Kurz vor der Morgendämmerung öffnete er leise die Tür zum Zimmer des Dienstmädchens. Sie hatte die Decke abgeworfen und lag ganz nackt im Bett. Er blieb lange stehen und betrachtete sie, ehe er das Zimmer verließ.
Am Morgen, als sie wach wurde, hatte er sich schon aufgemacht.
Teil 9 DER ABDRUCK DES DEUTSCHEN DESERTEURS
Er ging am Fluß entlang, einen gewundenen Weg zwischen dürren Brennesseln und hohen Farnwedeln.
Es war der dritte Tag nach der Flucht aus Stockholm, fort von Kristina Tacker und dem Kind. Auf dem Marktplatz von Söderköping hatte er bei den Fischständen nach jemandem gesucht, der durch Slätbaken fahren und dann in Richtung Finnö abbiegen würde. Zwei Knechte von Kettilö waren bereit, ihn mitzunehmen, gegen ein Entgelt in Branntwein. Sie würden sich in zwei Tagen an der Einmündung des Flusses treffen, da sie hofften, bis dahin all ihren Fisch verkauft zu haben.
An dem Pfad gab es eine Öffnung, eine Lichtung hinunter zum braunen Fluß. Er setzte sich auf einen Stein und schloß die Augen. Obwohl er sich langsam bewegt hatte, ohne sich anzustrengen, atmete er heftig, als wäre er gerannt. Auch wenn er saß oder schlief, raste sein Puls. Er lief und lief.
Schon bevor er im Zug nach Süden gefahren war, hatte er einen Brief an Kristina Tacker geschrieben. Er hatte seinen plötzlichen Aufbruch damit begründet, daß der große Krieg in eine unerwartete und beunruhigende Phase eingetreten war. Alles war natürlich streng geheim, jeder Brief, den er an sie schrieb und der die kleinste Andeutung über die Art seines Auftrags enthielt, bedeutete, daß er sich selbst, sie und das Kind in Gefahr brachte.
Er saß an einem Tisch im Bahnhofsrestaurant erster Klasse. Seine Hand zitterte, als er den Namen Laura schrieb. Ohne daß er sich beherrschen konnte, fing er an zu weinen. Eine Kellnerin schaute ihn fragend an, sagte aber nichts. Er sammelte sich und begann, seinen neuen eiligen Auftrag zu erschaffen.
Der Krieg, schrieb er. Er nähert sich unseren Grenzen, vorläufig kann man dem Volk in diesem Land nichts weiter darüber sagen. Aber Militärs wie ich, die wissen Bescheid. Die Überwachung unserer Grenzen muß verstärkt werden. Ich werde mich an Bord verschiedener Schiffe befinden. Die Positionen werden wechseln, von der Ostsee nordwärts und südwärts oder entlang den Küsten von Holland und Bohus-län. Meine Briefe werden nicht über die Militärpost in Mal-mö gehen, sondern von speziellen Stationen der Marine entlang der Ostküste befördert werden. Nichts von dem, was ich schreibe,
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