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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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anderen Frau gegenüber verleugnet hatte? Aber woher sollte sie das wissen?
    An einem frühen Morgen Mitte August, als er unterwegs zum Jungfrugrunden war, um ein Netz einzuholen, blieb er an den Rudern sitzen. Es war windstill, das Meer bewegte sich in langsamer Dünung.
    Plötzlich merkte er, daß er sich in der Nähe der Stelle befand, an der die beiden deutschen Matrosen am Boden lagen. Er könnte dorthin rudern, das Seil vom Heck an einem Senkstein festzurren, sich selbst mit diesem über Bord heben, und alles wäre endlich zu Ende.
    Vielleicht war das die einzige bodenlose Tiefe, die er zu finden hoffen konnte? Dem Tod entgegenzusinken, nicht wissend, was mit ihm geschah, nachdem sich die Lungen mit Meerwasser gefüllt hatten?
    Mit festem Griff ruderte er weiter.
    Das Netz, das er einholte, enthielt viel Fisch. Die Gedanken an den Tod waren sofort vergangen.
    Sara Fredrika kam hinunter zum Strand und half ihm beim Ausnehmen. Wegen des Rückens bewegte sie sich mühsam, und ihr Gesicht war verzerrt.
    Sie sprachen nicht viel miteinander.
    Am nächsten Tag säuberte er sein Lot und begann, die Tiefen rings um Halsskär zu messen. Er las die Tiefe ab, trug die Ergebnisse in ein Notizbuch ein und ließ das Lot von neuem sinken.
    Es war, als würde er zwei Stimmen lauschen, einem Gespräch zwischen Meer und Land, das nie abgeschlossen wurde. Jede Welle oder Dünung brachte Fragmente von Erzählungen mit, jede Felsplatte stimmte ein.
    Er ließ das Lot auf dem Süllbord ruhen. Früher hatte er immer gedacht, daß sich ein ewiger Kampf zwischen dem Meer und den Klippen abspielte.
    Jetzt erkannte er, daß er sich getäuscht hatte. Es war eine Umarmung, die niemals ihr Begehren verlor.
    Ein langsam wachsendes Vertrauen, dachte er. Die Landhebung geschieht unsichtbar, die Klippe und das Meer verlassen sich aufeinander.
    Er kehrte Halsskär den Rücken und schaute aufs Meer hinaus.
    Der Horizont war leer.
    Er dachte vage, daß irgend etwas fehlte, etwas, das da hätte sein sollen, war verschwunden.
    Als er nach Hause kam, saß sie vor dem Haus und erwartete ihn. Ihre Augen waren blank.
    Er blieb stehen, um ihr nicht zu nahe zu kommen. Sie warf ihm zwei kleine Holzpflöcke vor die Stiefel. Er begriff nicht sofort, was es war. Dann sah er das getrocknete und geglättete Seilstück, das die Pflöcke verband.
    Seine Eissporen. Die er dem Deserteur in die Augen gebohrt hatte.
    Ihm wurde ganz kalt. Er war sicher, daß er sie in die Kleidung des Toten gesteckt hatte, bevor er ihn mit dem Senkstein in das Eisloch gestoßen und die Leiche rasch hatte verschwinden sehen.
    Er sah sie an. Kam noch mehr ? War dies nur der Anfang?
    »Was ist da an den Stöcken dran?« fragte sie. »Ich verstehe nicht, was du meinst.« »Sie gehören dir, oder?«
    »Freilich gehören sie mir. Aber sie waren verschwunden, ich wußte nicht, wo sie hingekommen sind.«
    »Heb sie auf!«
    Er bückte sich. Auf dem hellbraunen Holz befand sich ein getrocknete Farbe. Es sah aus wie dunkelroter Rost. Blut, dachte er. Das Blut des Deserteurs.
    »Ich verstehe immer noch nicht, was du meinst.«
    »Es klebt Blut daran.«
    »Es kann alles mögliche sein. Warum gerade Blut?«
    »Weil ich es erkenne. Einmal hat sich mein Mann an einem Messer geschnitten. Es war ein tiefer Schnitt, ich dachte, es würde nie aufhören zu bluten. Diese Farbe vergesse ich nie. Getrocknetes Blut auf hellem Holz, die Farbe, als ich dachte, mein Mann würde sterben.«
    Sie fing an zu weinen, aber hielt schnell inne. »Ich habe sie am Uferrand gefunden. Beim letzten Mal, als ich um die Schäre herumging, bevor ich so dick wurde, daß ich mich nicht mehr auf den Klippen bewegen konnte. Ich hätte niemals dorthin gehen sollen.«
    »Ich muß sie verlegt haben.«
    Sie sah ihn an. Ihm wurde jetzt klar, daß es eigentlich nicht die Eissporen waren, die er in ihren Augen und ihrer Stimme geahnt hatte, sondern ihre Angst vor einer Lüge, vor etwas, was er ihr nicht erzählt hatte.
    »Du hattest sie immer dabei, wenn du aufs Eis gegangen bist. Eines Tages waren sie dann verschwunden. Jetzt finde ich sie blutgetränkt.«
    Der Deckel über dem Abgrund war sehr dünn. Er versuchte, sich nicht zu bewegen.
    »Was ist geschehen?« fragte sie. »An dem Tag, als er starb. Ich habe nie verstanden, nie glauben können, daß er direkt in den Eismatsch und den Tod hineinstieg. Weder das, noch, daß er die Katze getötet hat.«
    »Warum sollte ich etwas anderes gesagt haben als das, was wirklich geschehen

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