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Tiefschlag

Tiefschlag

Titel: Tiefschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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Mitleid, Sam», sagte sie. «Ich will es verstehen, es bewältigen und mich weiterentwickeln.»
    «Ich wollte nicht...»
    «... Ich weiß, wie du es gemeint hast. Es ist schon okay. Wenn du die falschen Worte erwischst, ist das auch in Ordnung. Ich weiß, daß du kein Urteil über mich fällst. Es fühlt sich richtig an. Ich bin froh, daß du es weißt.»
    Marie strahlte jetzt eine gewisse Zerbrechlichkeit aus. Er hatte es bereits seit jenem Abend bemerkt. Körperlich war sie eine robuste, stämmige Frau, und diese intensive körperliche Präsenz benutzte sie, um die Welt auf Distanz zu halten und sich hinter ihrer Körpermasse zu verstecken. Gleichzeitig strahlte sie auch etwas Zerbrochenes aus, einen gebrochenen Adel. Sie kämpfte um die Bewältigung dessen, was ihr das «Vergehen» ihres Vaters angetan hatte. Verzweifelt versuchte sie, die Fesseln der Vergangenheit abzuschütteln.
    Sie warf ihm einen Seitenblick zu, und als hätte er sie darum gebeten, fuhr sie an den Straßenrand und streckte die Arme nach ihm aus. Sam reagierte, indem er ihren massigen Körper in die Arme schloß und auf das Beben wartete, das ihm verriet, sie hatte etwas herausgelassen. Doch es kam nichts. Nach einer Weile ließ sie ihn los und saß mit gereckten Schultern auf dem Fahrersitz. «Danke», sagte sie. «Das hab ich gebraucht.» Sie tupfte einen Augenwinkel ab, aber da war keine Träne. «Ab und zu braucht ein Mädchen Freunde. Ich bin froh, daß du einer davon bist.» Sie wühlte in ihrer Tasche und kramte einen Schokoriegel heraus. Sie brach ihn in der Mitte durch und bot Sam eine Hälfte an.
    «Nein danke», sagte er. «Ich dachte, du wärest auf Diät?»
    Mit vollem Mund antwortete sie: «Ich mache mit allem Diät, was ich in die Finger kriege.»
    Sie ließ den Volvo an und kehrte auf die Straße zurück. Nach einer Weile fragte er: «Wie steht’s mit Arbeit?»
    «Brauchst du mich?»
    «Sieht so aus, als hätten wir im Moment alle Hände voll zu tun.» Sam erzählte ihr von dem Jungen, der aus dem Fluß gefischt worden war, und von Jeanie Scott.
    «Andrew Bridge», sagte sie. «Der Junge. Er ist nicht der erste.»
    «Der im Fluß gefunden wurde? Nein. Er ist der dritte in den letzten zwei Jahren. Das heißt, der dritte Junge. Sie haben auch noch ein kleines Mädchen gefunden.»
    «Erschlagen?»
    «Geschlagen worden ist er auch. Aber die eigentliche Todesursache war ein Messerstich in den Kopf. Man hat ihm ein Messer ins linke Ohr gestochen und dann weiter durch den Kopf.»
    «Das wußte ich nicht», sagte sie. «Ich habe in der Zeitung von den Morden gelesen, aber ich hätte nicht gedacht, daß wir damit zu tun bekommen würden.»
    «Anscheinend kommt alles auf einmal.»
    «Ich brauche es, gebraucht zu werden», sagte sie. «Wenn viel zu tun ist, sollte ich dort sein. Brauchst du mich?»
    «Fressen Kühe Gras? Falls du es dir noch anders überlegst, falls es dir zu heavy werden sollte, verstehe ich das», sagte er. «Aber es ist ein gutes Gefühl zu wissen, daß du dabei bist.»
    Marie hielt vor Sams Haus, und sie blieben noch sitzen. «Du kannst den Wagen behalten, wenn du magst», sagte Sam.
    «Was ist mit dir? Wie kommst du morgen zur Arbeit?»
    «Wir können zu Fuß gehen», sagte er. «Beziehungsweise, Geordie kann zu Fuß gehen, und ich nehme das Rad.» Er klopfte auf seinen Bauch. «Bißchen Bewegung könnte mir nicht schaden.»
    «Dann behalte ich ihn.»
    Sam tastete unter dem Beifahrersitz und tauchte mit einer Zeitung wieder auf. «Hab das Horoskop noch nicht gelesen», sagte er.
    «Dann mal los», sagte Marie. «Hol uns aus unserem Jammertal. Was steht drin?» Sie knipste die Innenbeleuchtung an.
    «Hör zu», sagte er. «Hier steht:     «Ist das meines?» fragte Marie mit dem Mund voller Schokolade.
    «Nein, meines», antwortete Sam. «Zu deinem bin ich noch nicht gekommen. Was bedeutet das deiner Meinung nach?»
    «Die beste Zeit deines Lebens? Muß irgendwas mit Jeanie Scott zu tun haben, der fröhlichen Witwe.»
    «Klingt ganz so, als würdest du sie kennen.»
    «Tue ich. Flüchtig», sagte Marie. «Sie hat im District gearbeitet, als ich noch dort war. Ihr Mann ist von irgendwas abgestürzt. Ich meine ihren ersten Mann. Ich komme im Moment nicht drauf, was es genau war, vielleicht ein Zug.

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