Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
prangte der Frankenrechen.
*
Kilian saß auf der Veranda des Maritim-Hotels. Er trank aus einer Cognacflasche, die er auf seinem Rückweg an einer Tankstelle gekauft hatte. Vor ihm lag der Main schwarz in seinem Bett und floss unmerklich dahin. Die Beleuchtung an der Festung und am Käppele war bereits abgeschaltet. Nur die Begrenzungsleuchte am Funkturm leuchtete rot. Die Sterne hatten sich hinter Wolken versteckt, einzig ein schwacher Mond erbarmte sich.
Kilian hatte Giovanna eine Nachricht an der Rezeption hinterlassen. Er wollte mit ihr sprechen, bevor die Woche zu Ende ging und Oberhammer seine Drohung wahr machte. Vielleicht, nein, bestimmt konnte sie ihm helfen. Sie kannte einflussreiche Leute. Ihren Vater zum Beispiel, den Conte. Wenn sie ein gutes Wort für ihn einlegen würde, dann könnte er ihm bestimmt helfen.
Aber der Conte war eine schillernde Figur, zumindest was Korrassow über ihn erzählte. Konnte er sich wirklich mit solchen dubiosen Leuten einlassen?
Er setzte die Flasche an und ließ den Cognac laufen.
15
Oberhammer trieb jeden in die Enge, der ihm auf dem Weg zu Kilians Büro in die Quere kam. Selbst die albanische Putzfrau musste ihm Rechenschaft über ihre aktuelle Tätigkeit geben. Nachdem er die zweite Verbindungstür im verschachtelten Erdgeschoss des Kriminalhauptgebäudes am Neunerplatz hinter sich gebracht hatte, eilten Warnrufe seinen Schritten voraus, sodass die Beamten schnell in ihren Büros verschwanden und sich in ihre Unterlagen vertieften. Uschi stakste ihm auf Pumps hinterher.
»Um 9.30 Uhr ist das Treffen mit dem Oberbürgermeister im Rathaus«, keuchte sie. »Um 11 Uhr ein Gespräch mit dem Suchtbeauftragten aus dem Landratsamt, 11.30 Uhr der Zwischenbericht aus dem K4 und …«
»Ja, ja, ich weiß«, gab er genervt zurück.
»13 Uhr Mittagessen mit dem Landrat …«
Oberhammer stürmte ohne Anklopfen in Kilians Büro und fand es leer vor. Aus dem Nebenzimmer drang der Duft frischen Kaffees herein. Oberhammer folgte der Fährte. Sabine saß in ihrem Stuhl und lackierte sich die Fingernägel. Sie hatte der Tür den Rücken zugekehrt und telefonierte gerade mit ihrer Freundin.
»Was ist hier los?«, platzte Oberhammer verärgert in ihr Gespräch.
Sabine drehte sich auf dem Stuhl herum und ließ den Telefonhörer vor Schreck fallen, der Nagellack wurde beiseite geschoben.
»Herr Polizeidirektor«, stotterte sie, »so früh schon auf den Beinen?«
»Lassen Sie den Unfug«, schnauzte er sie an. »Wo sind meine beiden Beamten, die die Ludwigsbrücke bearbeiten?« Sabine suchte vergebens nach der passenden Antwort, stand auf, ging an die Tür, blickte hinein und zuckte mit den Schultern.
»Gerade waren sie noch da«, sagte sie wie selbstverständlich.
»Dass Sie sie nicht auf dem Gang getroffen haben?«
»Wo sind der Kilian und der Heinlein?«, wiederholte er drohend.
»Wie ich schon …«
»Nichts da«, fuhr er ihr dazwischen. »Keiner der beiden ist da. Es ist 8.15 Uhr. Ich habe heute noch einen Termin mit … mit, na mit wem?«
»Dem Regierungspräsidenten«, komplettierte Uschi, die Sabines Nagellack einer genaueren Prüfung unterzog.
»Richtig. Dem Regierungspräsidenten. Ich brauche Ergebnisse. Verstehen Sie? Also, was soll ich ihm wegen der Löwen sagen? Los, geben Sie mir eine Antwort. Schnell.«
Sabine schnaufte durch und suchte nach irgendeiner Ausrede.
»Sagen Sie ihm, nun ja, … sagen Sie …«
»Eben. Genau das. Soll ich ihm sagen, dass meine Beamten noch schlafen, während die Kultureinrichtungen von Vandalen zerstört werden? Soll ich ihm sagen, dass in unserer Residenz einfach Leute umgebracht werden, ohne dass dem Täter ernsthaft nachgestellt wird? Oder soll ich ihm sagen, dass sich unsere Sekretärinnen schon am Morgen auf den Abend vorbereiten? Also, was soll ich ihm sagen?«
Sabine wurde unter der Schimpfkanonade immer kleiner und versank in ihrem Stuhl. Schließlich ließ Oberhammer von ihr ab, sie bot keine Angriffsfläche mehr. Er ging in Kilians Büro und suchte nach den beiden Akten Tiepolo und Soko Löwen. Er durchwühlte liegen gebliebene Akten des Vortages, riss Schubladen heraus und feuerte sie wieder zu. Schließlich stand er vor dem riesigen Stapel, der auf Heinleins Tisch entlang der Wand an die Decke wuchs. Er schaute ihn in aller Ruhe an, um ihn dann in der Beuge anzustoßen, die er für verdächtig hielt. Wie bei der Sprengung eines Schornsteins kippte er um und fächerte die Akten quer über den Tisch. Gezielt griff er
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