Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
zu halten.
»Das schaut alles sehr gut aus, Frau Pelligrini«, sagte der Mann lobend. »Ich denke, wir sollten uns in meinem Büro in Barcelona treffen, wenn Ihre Arbeiten abgeschlossen sind. Ich bin sicher, dass ich Sie den Kuratoriumsmitgliedern vorstellen werde. Ihre Arbeit und Ihr Projektmanagement werden sie überzeugen. Da bin ich sicher.«
Der Mann schüttelte ihr die Hand, verneigte sich ein wenig und ging an Kilian vorbei die Stufen hinunter. Erst als er vom Treppenende aus nicht mehr zu sehen war, ging Giovanna auf Kilian zu.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie ihn und gab ihm einen Kuss.
»Wer war der Kerl?«, wollte Kilian wissen. Er hatte den typischen Unterton eines Italieners oder Spaniers, wenn sich ein anderer Mann zu nah an seine Frau gewagt hatte. Giovanna überging es.
»Das war Don Enrique Silva-Hohenstätt«, sagte sie stolz,
»der Vorsitzende des Kuratoriums zur Erhaltung spanischen Kulturguts aus Barcelona.«
»Und das ist alles?«, fragte Kilian.
»Was sagst du da?«, lachte Giovanna und legte ihre Arme um ihn. »Don Enrique ist der Herr über Millionen Euro und Dollar. In seinem Kuratorium sitzt die halbe spanische Königsfamilie. Wenn ich mit denen ins Geschäft komme, dann …« Giovanna stockte. Es fiel ihr nicht der passende Ausdruck ein. Mit ihren Händen zeichnete sie einen Kreis in die Luft, der die ganze Welt darstellen sollte.
»Dann bin ich am Ziel aller meiner Träume. Verstehst du das?«
»Was sind das für Träume?« Kilian lehnte sich gegen die Balustrade, genau da, wo der Wachmann in den Tod gestürzt war. Ihn fröstelte plötzlich, und er verschränkte die Arme.
Giovannas Miene änderte sich. Sie wirkte nun ernst und ging einen Schritt auf ihn zu, um dann stehen zu bleiben und ihre Hand Richtung Tiepolo auszustrecken.
»Dort ist er«, begann sie. »Dort ist der Maestro. Tiepolo ist das Nonplusultra. Ich habe mein ganzes Leben dafür gearbeitet, um in seine Fußstapfen zu treten. Dafür habe ich meine Kindheit in Kirchen verbracht, um die Architektur kennen zu lernen. Studiert, wie die alten Meister mit Farben, Formen und dem Licht umgegangen sind. Das Zusammenspiel von Ideal und Wirklichkeit. Ich habe gesehen, was machbar ist und was Illusion bleibt. Dafür habe ich geschuftet, meine Jugend weggeworfen, während die anderen sich amüsiert haben. Jetzt, nachdem ich die Arbeiten für die Residenz bekommen habe, die Ehre habe, am größten Werk des Maestro zu arbeiten, jetzt kommen sie aus ihren Löchern, die Dons, die Bischöfe, die Investoren, und lecken mir die Füße. Jetzt wollen sie, dass ich für sie arbeite. Früher hat kein Hahn nach mir gekräht. Ich hab mir die Finger wund gezeichnet und meine Familie und mein Land verlassen. Jetzt, heute und hier, bin ich zu dem geworden, was ich immer sein wollte.«
Kilian hörte sich in aller Ruhe Giovannas Ausführungen an. Sie meinte es ernst mit dem, was sie da sagte. Sicher. Aber sie schien auch fixiert auf ihre Arbeit, ihren Maestro.
Irgendwas stimmte nicht mit ihr. Das hatte er gestern schon bemerkt. Wie sie so seltsam über ihr Talent sprach und wie sie ihren Cousin in den Himmel lobte. Sie war besessen von dem Geniegedanken.
»Na ja …«, begann er. »Ganz meisterhaft war es ja nicht, was er da gemalt hat.«
Giovannas Blick verfinsterte sich. In ihren Augen schien etwas zu funkeln, was nichts Gutes verhieß. »Was meinst du?«, fragte sie.
»Etwas vergessen hat er, dein Maestro«, sagte Kilian und deutete mit der Hand nacheinander auf die vier dargestellten Erdteile im Fresko.
Giovanna folgte seinem Handzeig. »Ach, das. Diese Kritik wird ab und zu laut. In der Mitte des 18. Jahrhunderts war Australien zwar schon bekannt, aber es galt noch nicht als eigenständiger Kontinent. Und nachdem es Tiepolos Aufgabe war, den Fürstbischof als unumschränkten Herrscher und Mann von Bildung darzustellen, war es damals wohl besser, auf diesen unbedeutenden Hinweis zu verzichten.«
»Verstehe ich nicht.«
»Wenn du jemanden so darstellen musst, dass er nicht nur reich und gebildet erscheint, sondern auch vorausblickend, dann überlegst du dir genau, ob du so eine Insel, die Australien damals für die Leute war, wirklich zu einem Kontinent erhebst. Zum Schluss hätte es wirklich nur eine Insel mit einem Haufen verwahrloster Wilder sein können und dann … ja, dann hättest du sie da oben, und alle würden drüber lachen. Weißt du, Tiepolo war nicht dumm.«
»Du hast Recht«, sagte er schließlich, »Tiepolo
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