Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
war ein dreizehnjähriges Kind in der Kleidung einer Frau. Um das kaiserliche Paar scharten sich ehrfürchtige Höflinge und Standartenträger. Der Bischof hob die Hand zum Segen. Er war ein alter Mann mit langem weißem Haar, der von irdischer Liebe nichts zu verstehen schien.
Auf der Empore im Hintergrund verfolgte eine Frau mit weißem Schleier aufmerksam die Szene. Sie hielt eine Tafel in den Händen. Neben ihr bemühte sich ein Mann im grünen Wams um ihre Gunst. Vergebens. Sie hatte nur Augen für das Brautpaar. Hinter einer anderen Säule blickte ein Mann mit rotem Schnauzbart und entsprechend rotem Haar eifersüchtig hervor. Vor ihm stand ein Mann mit einer Kopfbedeckung, der ihm ein verräterisches Zeichen nach hinten gab.
Das Knarren einer Tür ließ Kilian zurück in die Jetzt-Zeit kommen. Er lief in den Weißen Saal zurück, schaute sich um und fand sich schließlich an der Balustrade im Treppenhaus wieder. Er schaute nach unten in das dunkle Loch, zur Seite und nach oben. An der Decke hing nach wie vor das kleine Gerüst. Die Leiter hing frei schwebend herab, rund zwei Meter von ihm entfernt in der Luft. Er lehnte sich über die Balustrade, hangelte nach der Leiter, konnte sie aber nicht fassen. Er musterte die winzige Plattform, die unter der Decke schwebte. Dort war auch nichts Verdächtiges auszumachen. Das Gerüst auf der gegenüberliegenden Seite war bereits abgebaut und gab den Blick auf den Erdteil Amerika frei. Das karge Licht, das von der Fensterfront hereinschien, erhellte nur wenig von der Darstellung des Kontinents. So schaute er erneut nach oben, direkt über ihn auf Europa. Das Atmen fiel ihm bei der überstreckten Haltung schwer, sodass er mehrmals seinen Kopf senken musste. Dabei fiel ihm auf, dass die rechte Flügeltür ein Stück nach innen gelehnt war. Er überlegte, welche der beiden er vorhin überprüft hatte. Doch es fiel ihm nicht mehr ein. Einem Impuls folgend, ging er auf sie zu. Die wenigen Schritte, die er zurücklegen musste, reichten aus, um ihm klarzumachen, was für ein Narr er eigentlich war.
Hinter Türen schauen zu müssen, als verstecke sich dahinter ein Einbrecher. Lächerlich. Er schob die Tür ganz nach hinten, bis sie von einem im Boden eingelassenen Stopper aufgehalten wurde. Dann drehte er sich ab, stieg vorsichtig die Stufen hinab in die Eingangshalle und verließ, wie er gekommen war, durch den Gartensaal die Residenz.
Ein farbverschmierter Handschuh fasste die Flügeltür. Die Gestalt drückte sie nach vorne, kam hervor und ging an die Balustrade. Sie lehnte sich hinüber und lauschte. Nachdem sie nichts mehr von Kilian hörte, nahm sie den Stock, an dessen Spitze ein Haken befestigt war, und zog damit die Leiter heran.
*
Irma saß schlafend auf einem Holzstuhl und lehnte gegen den Schanktresen. Die Wirtshaustür war bereits von innen verschlossen, die Beleuchtung heruntergedreht. Hinten in der Ecke, am Stammtisch des Kulturhistorischen Vereins, warf die Deckenbeleuchtung ein schummeriges Licht auf die Rauchschwaden, die fest über dem Tisch hingen. An den Wänden, Fenstern, auf den Stühlen, am Boden, überall lagen die eingesandten Bilder des Wettbewerbs ›Ich mal mein schönstes Franken‹ herum. Die meisten nicht mehr im ursprünglichen Zustand. Sie waren zerrissen, zerknüllt oder am Garderobenständer aufgespießt. In die engere Wahl waren fünf Bilder vorgedrungen, die als Tischunterlage dienten. Auf ihnen schwamm Frankenwein durch die bunt bemalten Täler des Mains und der Schwarzach. Er bahnte sich seinen Weg an Sauerkraut, Wurstscheiben und angemachtem Camembert vorbei. Dunkelgrüne Weinflaschen sprossen aus den Bildern empor wie Zypressen in der Toskana.
Bei jedem Faustschlag, den Erich zur Untermauerung seines Kassenberichts auf den Tisch abgab, flatterten Kassenbons, Quittungen und Belege umher, als würde der Herbstwind Blattwerk aufwirbeln. Walter musste sie erneut ordnen und in einen zeitlichen wie inhaltlichen Zusammenhang bringen, damit sie eine Aussage darüber zuließen, inwieweit Erichs Freirunden sich auf den Kassenbestand ausgewirkt hatten. Von Heinz-Günther wurde im Schnellverfahren der Antrag auf eine sofortige Prüfung eingereicht und mit zwei zu einer Gegenstimme und einer Enthaltung entschieden.
»Schnaps is Schnaps, und Weib bleibt Weib«, grölte Erich, der zwischen Renate und Heinlein saß. Er beugte sich zu ihr, legte ihr seinem Arm um die Schulter und zog sie zu sich her.
Doch Renate reagierte nicht mehr. Sie hatte
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