Tier zuliebe
über deutsche Ladentheken. Erst als diese illegalen Importe 1997 ans Licht kamen, zeigten die Verbraucher in Deutschland (endlich!) Anzeichen von Verunsicherung. Aus Angst vor der Rinderseuche wurden tausende Tiere getötet und der Konsum von Rindfleisch ging drastisch zurück.
Dennoch: Nach dem Motto: »Alles lassen wir uns nehmen, nur unseren Sonntagsbraten nicht!«, wurden bald alle Bedenken und Risiken wieder abgeschüttelt – man wollte anscheinend lieber doch nichts davon wissen, es war ein unangenehmes Thema, das merkte ich auch in vielen Gesprächen. Meine »Lieblingssätze« aus den Mündern der Kopf-in-den-Sand-Stecker waren: »Das Fleisch wird doch jetzt streng kontrolliert.« und: »Wenn Rindfleisch gefährlich wäre, dann dürfte es doch gar nicht mehr verkauft werden«. Das Vertrauen in die Kompetenz, ja, die Unfehlbarkeit der zuständigen Behörden verblüfft doch immer wieder, haben doch all die Gammel- und Ekelfleischskandale der letzten Jahrzehnte deutlich gezeigt, dass die zuständigen Institutionen im Kampf gegen skrupellose Fleischproduzenten viel zu häufig auf verlorenem Posten stehen.
Heute, mehr als 25 Jahre nach der ersten erkrankten Kuh und 15 Jahre nach der ersten Infektion eines Menschen, wissen wir, dass BSE auf den Menschen übertragbar ist. Und auch wenn die Zahl der Toten durch die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) bislang überschaubar bleibt – bis März 2010 waren es weltweit »nur« 214 Tote –, so ist bis heute weder geklärt, wie genau die Übertragung funktioniert, noch, ob es nach längeren Inkubationszeiten, als bisher angenommen, weitere Todesfälle in Zukunft geben wird. Forscher sind einer speziellen genetischen Disposition auf der Spur, die im Zusammenwirken mit dem Erreger tödlich sein kann – es ist denkbar, dass stille Träger der Krankheit unter uns sind. Der Neuropathologe Hans Kretzschmar vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München sagt mir dazu:
BSE ist sicher auf den Menschen übertragbar, aber wie es jetzt aussieht, unter praktischen Gesichtspunkten des täglichen Lebens, sehr ineffizient übertragbar: Den ein bis zwei Millionen BSE-Rindern in Großbritannien stehen ca. 170 vCJK-Fälle in Großbritannien gegenüber. Das wissen wir jetzt, vor ein paar Jahren gab es keine Möglichkeit, das vernünftig abzuschätzen. Natürlich ist auch noch nicht alles vorbei, und man sollte deshalb weiterhin auf der Hut sein. Es gibt noch etliche Unbekannte: Ist BSE eine eigenständige Krankheit, die immer wieder neu entstehen kann? Wieso gibt es Fälle der vCJK in Frankreich, Spanien, Italien, NL, Japan …, aber nicht in Deutschland usw.? Die Sicherheitsmaßnahmen, die damals getroffen wurden, waren zwar teuer, aber richtig. Sie haben verhindert, dass die Krankheit weiterhin – zwar auf niedrigem Niveau, aber doch kontinuierlich – auf den Menschen übertragen wurde und sich dort »einnisten« konnte. Außerdem hätte BSE ja auch viel besser auf den Menschen übertragbar sein können; das konnte damals niemand vorhersagen.
Die 1990er Jahre waren also die Jahre, in denen mein Sohn zum Vegetarier wurde: eine Entwicklung, die vermutlich mit meinem Rindfleisch-Verbot einsetzte und sich schließlich auf Schweinefleisch und auch Geflügel ausweitete. Irgendwann bestand er dann sogar auf Gummibärchen aus der Apotheke oder dem Reformhaus, die mit Fruchtsaft statt Gelatine hergestellt werden. Seine Antworten auf meine Fragen nach dem Warum blieben indes eher vage, von »Es schmeckt mir nicht« über »Die armen Tiere« bis hin zu der Aussage, die alle weiteren Nachfragen erübrigt: »Ich will es einfach nicht«. Doch genauso langsam und unmerklich, wie ihm der Appetit auf Fleisch vergangen war, setzte nach rund zehn Jahren der Gegentrend ein. Heute ist er kein Vegetarier mehr. Schade, denn sonst hätte ich jetzt einen Mitstreiter.
Brief eines Vegetariers
Er ist der Mann, der immer über alles informiert ist – ob es in der Schweiz ist oder in Deutschland oder sonst wo auf der Welt, ob es um Politik geht, um Unterhaltung, Showbusiness, Filme, Bücher, Ernährung, Psychologie oder moralische Fragen: eine schnelle Mail an B. und innerhalb kürzester Zeit habe ich eine verlässliche Einschätzung, zusätzlich aufbereitet mit Zeitungsartikeln oder Fotos zum Thema. Ich weiß nicht, wie B. das macht, denn er hat als Berater von forschenden Unternehmen eine prall gefüllte Agenda. Die Zeit, sich mit den
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