Tier zuliebe
wichtigen Dingen des Lebens auseinanderzusetzen und genau hinzuschauen, nimmt er sich trotzdem. Das macht unsere Kommunikation so wertvoll.
Vor vielen Jahren hat B. mich nach der Besichtigung des Goetheanums in Dornach bei Basel (der von Rudolf Steiner entworfene Kunstbau und heute Sitz der anthroposophischen Gesellschaft und der »freien Hochschule für Geisteswissenschaft«) in ein vegetarisches Restaurant geführt. Damals dachte ich, so ein Ausflug ins Reich der Vegetarier gehöre zum Programm, wenn man das Goetheanum besucht, schließlich befürworten Anthroposophen Vegetarismus. Heute weiß ich, dass B. als überzeugter Vegetarier einfach gut essen wollte. Natürlich will ich jetzt auch genau wissen, was ihn zum Vegetarier gemacht hat. »Wie kommt es eigentlich, dass du kein Fleisch isst?« Er bittet um ein wenig Bedenkzeit.
Doch schon am selben Abend erhalte ich seine Antwort via E-Mail. Sie beginnt mit einem Bild: »Entweder man/frau sieht im stereoskopischen Bilderbuch den Delfin im Blumenbeet oder eben nicht.« Seine Motive, schreibt er, sind keineswegs intellektuell, nicht emotional, nicht spirituell oder sonst wie eindeutig zuzuordnen. Schon gar nicht gehöre er zu jenen Tierfreunden, die in Verzückung geraten, sobald sie nur einen Hund oder eine Katze sehen. Haustierhaltung findet er vielmehr problematisch. Er möchte anderen Lebewesen »auf Augenhöhe« begegnen. Die ganz persönliche Begründung für ein Leben als Vegetarier klingt so:
Tiere sind das Ergebnis einer (ihrer) Evolution, ganz so wie ich es von meiner bin. Du begegnest auf einer Wanderung fünf Rindern, die betrachten dich, dicht aneinandergedrängt, neugierig, ängstlich oder wie auch immer. Unsere menschlichen Empfindungen lassen sich nicht übertragen. Aber es ist in jedem Fall eine Beziehung zwischen dir und den noch jungen Kühen. Du schaust ihnen zu, aufmerksam und ohne irgendwelche vorgefertigten Bilder. Und dank des Reflexionsvermögens, das wir Menschen entwickelt (bekommen) haben, entsteht so etwas wie Empathie, eine Mischung aus objektivem Betrachten, Respekt und Zuneigung. Und du siehst, wie unsicher sie sind, halb dir zugewandt, halb fluchtbereit etc. Und du erkennst: das sind auf ihre Weise perfekte Lebewesen ganz unabhängig von dir als Mensch.Ohne menschliches Eingreifen leben diese Rinder nach ihrer Biologie und ihrem Rhythmus und du nach deiner. Nun ist es aber so, dass wir (»Herrenmenschen«) die Rinder halten zu unserer Plaisier. Vielleicht behandelt sie der Bauer nett und halbwegs korrekt, aber am Ende kommt der Transporter, das Schlachthaus, die Angst, die Erniedrigung. Dann ist Schluss mit dem Respekt der andern Autonomie. Und dies wozu? Damit wir das Rind essen können. Nicht weil wir es essen müssen, nein, weil wir dazu Lust haben. Wir rauben also einer andern Identität die Würde und die Autonomie just for fun. Nun kann Frau Will eine Talkshow starten zum Thema: »Haben Tiere eine Würde?« und über vergleichbaren Quark. Das sind alles Alibidebatten und treffen nicht den Kern. Biologisch gesehen ist eine Ameise eine Ameise, ein Rind ein Rind, eine Birgit eine Birgit. Und mit welchem »Recht« darf nun eine biologische Einheit, wohlverstanden ohne biologische Notwendigkeit, dafür mit cooler Absicht und industriell perfekt geplant die andere töten und verzehren? Wie gesagt, just for fun. Alle Mineralstoff- und Vitaminstoffmangelargumente lassen sich inzwischen inhaltlich oder allenfalls chemisch substituiert entkräften. Ich könnte dazu noch viel sagen, will ich aber nicht: Entweder gelangt man/frau zu diesem Empathieverständnis oder eben nicht. Deshalb auch mein Standpunkt: Nicht ich sollte erklären müssen, weshalb ich kein Fleisch/Fisch esse, sondern die Fleischfresser, weshalb sie kannibalisieren. Frage: Sind Vegetarier die besseren Menschen? Nein, aber sie wissen, wie die sein sollten. B.
Ich hatte jetzt auch so leise eine Ahnung, wie ich sein sollte. Bedauerlicherweise anders, als ich es war.
Weder Fleisch noch Fisch
Seit einer Woche habe ich nun kein Fleisch mehr angerührt. Fisch auch nicht – das allerdings nur, weil es sich nicht ergeben hat. Ich muss nämlich zugeben, mein Plan war ursprünglich, nur kein Fleisch mehr zu essen und mich den »Pescetariern« anzuschließen – Leuten, die sich als Vegetarier bezeichnen, aber nur auf Fleisch verzichten, Fisch essen sie durchaus –, das wäre mir sehr entgegengekommen. Und sehr inkonsequent gewesen, ich weiß. Echte Vegetarier mögen
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