Tiere
war ja nicht nur so, dass die Leute, die da waren, länger blieben und mehr Bier tranken. Sobald sich herumgesprochen hatte, dass wir auch nach der Sperrstunde geöffnet haben, kamen immer mehr Leute. Auf einen «Absacker», wie sie es nannten. Von fünf bis elf war normaler Betrieb, dann läutete mein Papa die Glocke zur letzten Runde, und ab elf drehte er das Licht runter, verschloss die Tür und schenkte weiter aus.
Es wurde zur Regel. Aber meine Mama hasste es. Sie machte sich nicht nur Sorgen wegen der Polizei, ihr gefielen auch die Leute nicht, die jetzt kamen. Früher waren es vor allem Arbeiter gewesen, die nach Feierabend ein Bier bestellten, manchmal auch, bevor ihre Schicht begann. Sie tranken ein paar Pints, waren aber nie richtig betrunken. Jedenfalls nicht oft. Jetzt kamen die Leute nur, um weiterzutrinken. Meine Mama sagte immer, es sind berufsmäßige Säufer und keine Arbeiter. Aber mein Papa meinte, ihr Geld wäre genauso gut wie jedes andere und wesentlich besser als überhaupt keins.
Ihm war es egal, wer kam, Hauptsache, es kam überhaupt jemand. Er war nur erleichtert, dass wir wieder Gäste hatten. Und zu der Zeit wurde meine Mama krank, sodass sie sowieso nicht oft im Pub arbeitete. Ich wusste, dass es ihr nicht besonders gutgeht, aber ich dachte, sie fühlt sich nur ein bisschen unwohl. Als ich dann aber eines Tages meinEssen nicht wollte, weil es ein bisschen verbrannt war, rastete meine Mama regelrecht aus. «Du isst, was auf den Tisch kommt!», rief sie, und das hätte ich auch getan, denn man legte sich nicht mit meiner Mama an, wenn sie schlechte Laune hatte. Doch sie packte meinen Teller und warf ihn an die Wand. «Jetzt guck dir an, was ich getan habe!», schrie sie und gab mir eine Ohrfeige. Als mein Papa reinstürzte und sich vor mich stellte und ihr sagte, sie soll sich beruhigen, begann sie zu weinen. Ich stammelte, dass es mir leidtut, aber mein Papa sagte nur, schon gut, und wollte, dass ich in mein Zimmer gehe.
Eine Weile später kam er hoch und erzählte mir, dass meine Mama operiert werden muss. Deswegen sei sie etwas nervös, sagte er. Ich fragte, was für eine Operation, aber er meinte nur, dass es «Frauensachen» sind. Ich dachte, es würde bedeuten, dass sie ein Baby kriegt, deshalb fragte ich nach, und mein Papa lachte, aber nicht so, als wenn er es lustig finden würde. «Bestimmt nicht», sagte er.
Meine Mama erwähnte die Operation mir gegenüber nie, und als sie in Krankenhaus ging, sagte sie bloß, ich soll mich benehmen. Mir gefiel es nicht, dass sie weg war. Sie blieb nur drei Wochen, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Mein Papa kochte währenddessen, was ein bisschen komisch war, denn ich war daran gewöhnt, wie meine Mama kocht. Aber es war in Ordnung. Nur anders. Eines Nachmittags, als der Pub geschlossen war, nahm er mich mit ins Kino, um einen James-Bond-Film zu sehen, und danach gingen wir ins Krankenhaus und besuchten meine Mama. Wir brachten ihr einen großen Blumenstrauß mit, mit dem ich geradewegs an ihrem Bett vorbeiging. Ich hatte sie nicht erkannt. In einem Krankenhausbett wirkte sie völlig anders und nichtwie die Mama, die ich zu Hause hatte. Ihr Haar war anders, und sie roch irgendwie komisch. Aber es ging ihr ganz gut, und sie sagte mir, dass sie bald wieder nach Hause kommt.
In der ersten Zeit nachdem sie entlassen wurde, kümmerten sich mein Papa und ich weiterhin um das Kochen und das Saubermachen, doch nach einer Weile machte sie es wieder. Alles schien wieder normal zu werden. Am Anfang war es echt schön, sie wieder zu Hause zu haben. Aber es dauerte nicht lange, und sie und mein Papa fingen an zu streiten wie vorher. Wenn ich manchmal ins Zimmer kam, wurden beide plötzlich still. Als ich einmal reinkam, sagte meine Mama zu meinem Papa: «Hör jetzt auf damit», und mein Papa sagte: «Wenn es nach dir ginge, sollte ich gar nicht mehr damit anfangen, oder?» Meine Mama sagte: «Ja, das wär mir am liebsten, verdammt nochmal, es ist nicht mein Fehler», was mich echt schockte, denn meine Mama fluchte nie. Meine Papa wurde rot und rief: «Nein, aber es würde nicht schaden, sich ab und zu mal zu bemühen, oder?», und da drehte sich meine Mama um und ging raus. Mein Papa sah total verwirrt und traurig aus. «Heirate nie», sagte er, aber er schaute die Tür an, durch die meine Mama gerade verschwunden war, und nicht mich. «Sobald du sie heiratest, glauben sie, sie müssen sich nicht mehr bemühen!» Dann ging auch er raus.
Meine
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