Tiffamy Duo Band 29
können. Ich musste ihn zurückholen, sonst hätte ich mich für meine Feigheit ewig verachtet. Als das Wasser etwas tiefer wurde, muss ich mir vor Angst auf die Lippe gebissen haben."
Sie hatte so schnell gesprochen, dass Daniel einen Moment brauchte, um den Inhalt ihrer Worte zu erfassen. Er erinnerte sich an Mandys Freude, nachdem sie ihre Sandale aus dem seichten Wasser gefischt hatte. Nachdenklich blickte er zu der glitzernden Wasseroberfläche des Fischteiches hinüber. Er konnte beim besten Willen keine Gefahr in dem flachen Wasser entdecken.
„Clint war doch nicht wirklich in Gefahr, oder?" fragte er.
„Nein. Unter den Korallen in der Lagune sind kaum noch lebende Organismen. Er hätte sich höchstens das Knie abschürfen können."
„Aber Sie haben ihn trotzdem herausgeholt?" Mandy holte tief Luft. „Ja."
Er sah sie unverwandt an. „Warum?"
„Weil ich mit meinem Gewissen leben muss", sagte sie knapp. „Durch den Teich zu waten ist nicht gefährlicher, als eine leere Straße zu überqueren. Mein Verstand wusste das — mein Körper nicht. Wie wäre Ihnen zumute, wenn Sie bloß über die Straße gehen müssten, um einem Kind ein blutiges Knie zu ersparen, und Sie wären zu feige, es zu tun?"
Daniel gab keine Antwort. Während er Mandy ansah, versuchte er zu verstehen, was in ihr vorging. Seine Mutter hatte viele irrationale Ängste gehabt, jedoch nie versucht, sie irgendwie zu überwinden. Nachdem sein Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, hatte sie sich erst in ihr Landhaus zurückgezogen, danach in einen abgelegenen Flügel des Hauses und schließlich in ihr Bett. Sie hatte sich mit Beruhigungstabletten vollgepumpt, bis sie nur noch dahindämmerte und eines Tages ihrer Tablettensucht erlag.
Seine geschiedene Frau hatte andere Ängste gehabt. Sie konnte nicht allein sein. Diese Angst hatte ihr ganzes Leben bestimmt und seines beinahe zerstört. Er hatte versucht, sich daran zu gewöhnen, dass sie ständig der Mittelpunkt auf Partys und Gesellschaften sein musste. Nie hatte sie den Versuch unternommen, sich seinem Bedürfnis nach Stille und Zurückgezogenheit anzupassen. Genauso wenig tolerierte sie seine Geschäftsreisen. Als er irgendwann nach einem längeren Auslandsaufenthalt zurückgekommen war, hatte sie sich während seiner Abwesenheit in Mexiko scheiden lassen. Und noch vor ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten war sie wieder verheiratet gewesen. Wie seine Mutter hatte sie ihren Ängsten immer nachgegeben.
Aber Mandy kämpfte. Sie wehrte sich mit einem Mut und einer Entschlossenheit gegen ihre Angst, die er einfach respektieren musste. Auch er kannte dieses Gefühl. Auch in seinem Leben hatte es Situationen gegeben, wo er Ängste überwinden musste. „Sie sind es leid, ständig gegen Ihre Angst ankämpfen zu müssen, nicht wahr?" fragte er leise.
Überrascht schaute sie ihn an. Es stimmte, sie war es leid, eine Gefangene ihrer Ängste zu sein, abgeschnitten von dem Beruf, den sie so geliebt hatte, abgeschnitten von sich selbst. „Ja", flüsterte sie. „Ich bin es schrecklich leid."
„Und was Sie um Ihrer selbst willen nicht wagen, haben Sie wegen eines Kindes riskiert?" fragte Daniel.
„Kinder sind uns anvertraut, damit wir sie beschützen, nicht damit sie den Preis unseres Versagens bezahlen", sagte Mandy.
Daniel schaute sie an, als sei sie eine sehr seltene, perfekte Muschel, die er überraschend gefunden hatte. Ein Geschenk des Meeres. Noch nie hatte jemand in so klaren, einfachen Worten formuliert, weshalb er trotz aller Rückschläge und Schwierigkeiten unbeirrt für eine bessere Zukunft eintrat.
Plötzlich sah er in ihren goldbraunen Augen nicht nur Angst, sondern auch Traurigkeit. Er wusste nicht, warum sie traurig war. Er wusste nur, dass er ihren Kummer lindern, ihr ohne Worte sagen wollte, dass er ihr helfen konnte, wenn sie es ihm erlaubte.
Langsam beugte er sich über sie und spürte ihren warmen Atem auf seinem Mund. Mit der Zungenspitze liebkoste er behutsam die kleine Wunde auf ihrer Lippe. Er wollte seinen Kuss vertiefen und die weiche Wärme ihres Mundes erforschen. Aber leider kamen in diesem Moment die Kinder zurück, und er musste sich seinen Wunsch versagen. Noch einmal berührte er zart ihre Lippen, bevor er sich aufrichtete.
„Ich dachte, er ist nicht ihr Typ", bemerkte Clint und beobachtete interessiert, wie Mandy errötete.
„Ein alter amerikanischer Brauch", sagte Daniel und hoffte, der Junge würde seine raue Stimme nicht zu
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