Tiffany Duo 48
Familie handelte. Und Nick ins Auge zu sehen,
so nervenaufreibend das auch zu werden drohte, war immer noch besser, als
tatenlos zu Hause herumzusitzen, nicht wahr?
Richtig, gab sie sich selbst zur Antwort. Dann sollte sie nun allerdings damit
aufhören, nach Gründen und Ausreden zu suchen und statt dessen endlich
anklopfen. Und genau das tat sie schließlich auch.
Es dauerte einen Augenblick, bis er öffnete. Sybil hatte sich vorher gründlich
überlegt, was sie ihm sagen wollte und sich lauter burschikose kleine Bemerkungen
ausgedacht. Als er dann aber die Tür öffnete, sich seine große Gestalt dunkel gegen
das Licht im Innern des Hauses abzeichnete und er sie mit seinen topasfarbenen
Augen ansah, war sie zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Wie versteinert stand
sie da, starrte ihn nur stumm an und hatte wieder das unheimliche Gefühl, einem
Wesen der Finsternis gegenüberzustehen.
Das Wesen der Finsternis brach das Schweigen. Jenes unwiderstehliche Lächeln
breitete sich auf seinen Zügen aus, und er zog Sybil am Arm hinein in die Wärme und
ins Licht. "Willkommen in Carfax Abbey!" scherzte er.
"Sie kommen mir noch immer wie ein Dracula vor", entgegnete sie und versuchte ihre plötzliche Gänsehaut zu ignorieren, indem sie seinen Händen auswich. "Ist das ein schlechter Zeitpunkt?"
"Für was?"
"Für einen Besuch. Ich wollte mit Ihnen sprechen, und da Ihr Telefon nicht
funktioniert..."
"Es funktioniert. Heute nachmittag wurde es angeschlossen. Und Sie hätten keinen besseren Zeitpunkt für einen Besuch wählen können, denn ich habe gerade ein
Kräutergetränk zubereitet, nach einem Rezept, das ich in einem alten Buch entdeckt
habe. Sie können gleich mein erstes Opfer sein."
Sybil warf ihm einen langen, skeptischen Blick zu, dann zuckte sie die Schultern und
legte ihren Mantel ab. "Danke, ich brauche nichts. Ich bleibe ohnehin nicht lange."
"Bleiben Sie lang genug, um einen Drink zu nehmen. Seien Sie nicht ungemütlich,
bestimmt haben Sie ein Stündchen Zeit."
Er legte ihr seine warmen, kräftigen Hände auf die Schultern und schob sie sanft in
Richtung Wohnzimmer. "Gehen Sie hinein und machen Sie es sich bequem, ich hole
Ihnen inzwischen Ihren Drink."
"Ist es dasselbe, was Sie auch getrunken haben?" erkundigte sie sich argwöhnisch.
Er lächelte merkwürdig hintergründig, und Sybil fragte sich, ob sie wohl bei
genauerem Hinsehen spitze Eckzähne bei ihm entdecken würde. "Ich hatte Cognac", erwiderte er. "Vielleicht etwas zu viel, aber das schadet nichts."
"Dann nehme ich auch einen Cognac."
"Tut mir leid, ich habe ihn ausgetrunken." Nick log, das spürte sie ganz genau, aber sie sah keine Möglichkeit, das zu beweisen. Er schob sie erneut ein Stück vorwärts
auf das Wohnzimmer zu, aus dem warmes Licht in die dunkle Diele fiel. "Treten Sie doch näher", murmelte er mit unterdrücktem Lachen in der Stimme."
"Sagte der Wolf zum Rotkäppchen", gab sie bissig zurück. "Hören Sie auf, mich zu schieben, ich kann sehr gut allein gehen!"
"Und Sie werden meinen Kräutertrank trinken? Das ist das mindeste, was Sie für
mich tun können, wenn ich Sie sonst schon mit Ihrer Lieblingscola versorge!"
Sie blieb im Türrahmen stehen und sah Nick alarmiert an. Er lächelte nur, und das
auf so unschuldsvolle Art, daß Sybil zu ahnen begann, daß sie in der Klemme saß.
Nun, sie konnte ja immer noch rasch weglaufen, wenn er seinen Trank holte. Aber
nein, sie war nicht feige. Sie würde sich jetzt hinsetzen, sein verdammtes Gebräu
trinken und ihn dann ganz ruhig davon überzeugen, daß Leona nichts mit den
kürzlichen Vermögensverlusten der alten Damen von Danbury zu tun hatte.
Anschließend würde sie gehen, gänzlich gefeit gegen seine Anziehungskraft, und
ihren Hunden zu Hause das Pendel zum Fraß vorwerfen.
Sie erwiderte sein Lächeln mit derselben Harmlosigkeit. "Ich werde Ihren Trank
probieren", willigte sie ein. "Wenn er gut ist, brauen wir gleich mehrere Flaschen davon und verkaufen sie in meinem Laden."
"Wissen Säe, genau daran habe ich auch schon gedacht", murmelte er mit einem durchtriebenen Funkeln in den Augen. "Das wäre bestimmt sehr... interessant."
"Da bin ich mir sicher." Sybil wandte sich von ihm ab und
trat in das warme Wohnzimmer.
***
Es war erstaunlich, wie durch die Anwesenheit eines Menschen die Atmosphäre in
einem Raum verändert werden konnte. Das Wohnzimmer der Black Farm sah
bereits ganz anders aus. Der Eindruck eines leerstehenden Hauses
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