TIFFANY EXKLUSIV Band 04
Stromrechnung? Würde sie die ganze Woche Nudeln essen oder auch mal Fleisch? Hatte sie Geld genug für die Reinigung und konnte endlich ihren Mantel abholen? Oder sollte sie ihre Vermieterin verblüffen, indem sie zwei Monate hintereinander die Miete pünktlich zahlte?
So war eben das Leben in einer großen Stadt, und das hatte sie doch gewollt, oder etwa nicht?
Ihre Finger berührten einen zerknüllten Umschlag. Sie seufzte, zog ihn heraus und starrte darauf. Ursprünglich hatte er zweihundertundsiebenundsechzig Dollar enthalten, die Summe für das Busticket nach New York, das Logan nicht gekauft hatte. Wieder musste sie an die Nacht vor vielen Jahren denken, als sie der festen Meinung gewesen war, sie würden miteinander durchbrennen. Er hatte die Adresse der Jugendherberge auf den Umschlag geschrieben, außerdem eine Telefonnummer.
Sie hatte sorgfältig notiert, was sie dem Umschlag entnommen hatte, und jedes Datum kennzeichnete einen erneuten Fehlschlag in ihrem Leben. Hin und wieder hatte sie auch etwas Geld in den Umschlag getan, aber häufiger hatte sie etwas entnehmen müssen. Jetzt war der Umschlag leer, und das schon eine geraume Zeit.
Mit dem letzten Geld hatte sie ihre Mutter in eine russische Teestube eingeladen und die ganze Zeit daran denken müssen, was ihre Mutter wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass sie eigentlich von Logan Van Dell eingeladen worden war. Sicher hatte Logan sie längst vergessen, und sie dachte mittlerweile auch seltener an den Mann als an das Geld, das sie ihm schuldete.
Er war ein Idiot gewesen, ein großer und attraktiver Idiot, der gut küssen konnte. Wie gut, das hatte sie erst festgestellt, als sie mit einigen New Yorkern ausgegangen war.
Seufzend legte sie den Briefumschlag zur Seite. Diesen Monat konnte sie nichts hineintun. Und wenn es weiter so lief wie jetzt, vielleicht nie mehr.
Amber sah sich in ihrem Einzimmerapartment um, das mit Werkzeug und allen möglichen Utensilien zur Schmuckherstellung vollgestopft war. Sie hatte noch nicht einmal ein richtiges Bett, sondern nur eine Schlafcouch. Wenn sie sie abends ausziehen wollte, musste sie erst ihren Arbeitstisch vor die Tür schieben. Und wenn sie überlegen musste, welche Rechnung zuerst zu zahlen war, war sie immer kurz davor aufzugeben und nach Hause zurückzukehren. Selbst wenn das bedeutete, ein Leben führen zu müssen, das sie für erschreckend oberflächlich hielt. Aber das wäre vielleicht immer noch besser, als sich wie ein totaler Versager zu fühlen.
Dann fiel ihr wieder ein, dass sie noch nicht einmal das Geld für die Heimreise hatte und dass jede schlechte Phase irgendwann vorbeiging. Sie hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen, und das war auch gut so. Sie, Amber Madison, würde nicht in Belle Rive versauern. Sie würde ihren Weg in der Welt machen, das würde man schon noch sehen.
Sie war sicher, dass viele Menschen in Belle Rive es nur zu gern sehen würden, dass sie scheiterte. Nur ein Mensch würde traurig sein, und das war ihre Großmutter, liebevoll Mema genannt.
Amber sehnte sich nach Mema, die sie und ihre Schwester Stephanie betreut hatte, als deren Mutter damit beschäftigt gewesen war, ihrem Mann beim Aufbau seiner politischen Karriere zu helfen. Mema war die Einzige, die sie wirklich vermisste.
Vielleicht schaffte sie es ja doch irgendwie, das Geld für die Reise zusammenzukratzen. Vielleicht könnte sie am Sonnabend in dem chinesischen Restaurant arbeiten, für freies Essen und Trinkgelder. Vielleicht auch schon am Freitagabend. Nein. Wichtiger war jetzt erst einmal, das wenige vorhandene Geld sinnvoll aufzuteilen. Miete, Telefon und Strom hatten Vorrang, alles andere musste warten, auch die Rückzahlung an Logan.
Da sie erst mittags im Juwelierladen sein musste, hatte sie noch gut zwei Stunden Zeit. Letztes Jahr hatte sie ihren Chef endlich überreden können, auch ein paar Stücke von ihr in einen der Schaukästen aufzunehmen, wenn auch nicht gerade an bevorzugter Stelle. Sie hatte sogar einiges verkauft, einer der zwei Höhepunkte ihres New Yorker Lebens. Als sie ihrer Mutter gekonnt vormachte, ein erfolgreiches Leben zu führen, war das das zweite Highlight gewesen.
Es klopfte. Amber fuhr hoch.
Die Vermieterin? Aber sie war doch erst fünf Tage mit der Miete im Rückstand.
Wieder klopfte es. „Amber, bist du da?“
Heimat, war ihr erster Gedanke bei dem weichen Tonfall, den man in den Südstaaten sprach. Diese Stimme – wie Honig auf Sandpapier. Wie … aber das
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