Tiffany Valentinsband Band 1

Schönheit küsste er sie. Der Bann war gebrochen, und die schlafende Jungfrau erwachte durch den ersten Kuss der Liebe.
    Als der Prinz seine Braut aus dem Schloss trug, fielen ihre Freudentränen auf all die Schlafenden, und auch sie erwachten im strahlenden Sonnenaufgang eines neuen Zeitalters. Weil alle die finstere Zeit des langen Schlafes rasch hinter sich lassen wollten, verschwendete der Hofstaat nicht eine Minute damit, auch nur eine Kleinigkeit mitzunehmen, sondern folgte dem Paar aus dem Schloss und in das Königreich des Prinzen, um dort glücklich bis ans Ende ihrer Tage zu leben.
    Aber, äh, in dieser Geschichte geht es eigentlich nicht um das Prinzenpaar.
    Es geht um das Schloss. Und die Juwelen. Und das Gold.
    Um all die Schätze.
    Und die Menschen, die sie finden wollten.

1. KAPITEL
    Sie hatte es gefunden.
    Nach all den Jahren, all den Studien, all den Mühen – angefangen beim Bestechen von Wachen, über das Erklimmen irgendwelcher Türme, bis hin zu der Flucht vor Trollen – hatte Ashlynn Scott endlich herausgefunden, wo sich die geheimnisvollste aller Ruinen Elatyrias befand. Und schon bald – vielleicht morgen – würde sie sie erreichen.
    Während sie mitten in der Nacht durch den dichten Wald kroch, presste sie die kleine Ledertasche noch fester an sich. Drinnen befand sich ein kleines Stück vergilbtes Pergament, von der Zeit ausgeblichen und an den Ecken zerfranst. Und von unschätzbarem Wert.
    Für jeden anderen musste es aussehen wie eine alte, kaum mehr sichtbare Zeichnung, doch Ashlynn wusste es besser. Das verblasste Papier, das sie weit, weit entfernt von ihrem geliebten Heim hier in Elatyria gefunden hatte, passte zu zwei weiteren, die bereits in ihrem Besitz waren. Fügte man diese drei Stücke zusammen, war Ashlynn sich sicher, hatte man Dreiviertel einer uralten Karte – die drei wichtigsten Viertel. Die, die ihr den Weg zu dem weisen würden, was für sie die Entdeckung ihres Lebens wäre.
    Über Aschenputtels verlorenen Schuh, sozusagen, zu stolpern, war großes Glück gewesen. Die Hütte der berühmten Sieben Zwerge zu finden war ihr gelungen, weil jemand anders bereits gute Vorarbeit geleistet hatte. Den vergifteten Kamm, mit dem die verrückte Hexe Schneewittchen hatte töten wollen, bevor sie mit dem Apfeltrick erfolgreich war, hatte sie zwar ganz alleine gefunden, aber das hier … das war der ganz große Durchbruch.
    Mit diesem Fund würde Ashlynn Scott, neben ihrem berühmten Vater, zu den hervorstechendsten Historikern ihrer Zeit zählen. Es würde endlich allen bestätigen – inklusive ihr selbst – dass sie es verdient hatte, den Platz ihres Vaters als Leiterin des größten Museums Elatyrias einzunehmen. Trotz ihrer noch jungen Jahre und ihres Geschlechts.
    „Dornröschens Schloss“, flüsterte sie.
    Es war der Stoff, aus dem Legenden gemacht wurden: ein verlassenes Schloss voller Schätze, aber wichtiger noch, voller Geschichte eines untergegangenen Königreiches. Viele zweifelten an seiner Existenz. Etwas so Fantastisches musste einfach ein Mythos sein. Sie hatten ihren Vater verspottet, hatten ihn verhöhnt, weil er behauptet hatte, eines Tages werde das Schloss entdeckt werden.
    Jetzt konnte Ashlynn beweisen, dass ihr Vater recht gehabt hatte … konnte sie beide verteidigen. Denn die Karte war kein Mythos. Sie war echt. Und sie, Ashlynn, besaß sie.
    Na ja, den größten Teil davon.
    „So viel, wie ich brauche“, murmelte sie. „Es muss reichen.“
    Auf dem neuen Stück war der genaue Ort eingezeichnet und ein Teil des verschlungenen Pfades, der zum Schloss führte. Ja, der Pfad verschwand von der Karte und würde auf dem fehlenden vierten Stück weiterführen, aber sie hatte die anderen Teile, darunter die wichtigsten: den Anfang und das Ende.
    Den ersten Teil hatte sie eingenäht in ein antikes Kleid gefunden, klein zusammengefaltet, spröde und trocken. Sie hatte eine Museumsausstellung über das verlorene Königreich betreut, das heutzutage nur noch in Geschichtsbüchern existierte und dessen Gebiet sich die benachbarten Reiche schon vor Jahrhunderten einverleibt hatten. Das Kleid war ihr durch einen Zufall in die Hände geraten – und damit auch die Karte.
    Unterstützt durch das Grand Elatyria Museum und dessen Patronin, Königin Penelope of Riverdale, hatte Ashlynn es sich zur Aufgabe gemacht, den Rest der Karte zu finden. Sie hatte sämtliche Akten durchforstet und mit den wenigen Nachfahren der Seasider geredet. Sie war durch die Lande