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Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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wieder zu Verstand zu bringen. Warum schreibe ich das? Wir müssen da durch, wir stoßen auf Zivilisten, die aus ihren Häusern flüchten und von den Kroaten niedergeschossen wer den. Niemand schießt zurück. Unsere Waffen haben wir nur zum Schein. Klaas gibt Gas, bloß weg hier. Einer der Kroaten springt auf unseren Jeep und fährt ein Stück mit, er hält mir den Lauf seines Gewehrs in den Nacken. Ich bin schon lange nicht mehr ich selbst, es ist ein anderer, der anfängt zu kotzen, als der Kroate »Pang!« schreit und lachend vom Jeep springt. So sieht der Tod aus. Er bläst dir direkt ins Gesicht.
     
    Ich schloss das Tagebuch. Es war sehr still. Ein Eichhörnchen saß auf dem kahlen Streifen neben dem Waldrand. Es schnupperte an etwas zwischen seinen Vorderpfoten, während es mit seinen Knopfaugen unablässig den Wald beobachtete. Ich holte den zusammengefalteten Brief heraus, ein dicker Stapel von Blättern, beidseitig von einer nervösen Hand beschrieben, die Mühe gehabt zu haben schien, auf den Linien zu bleiben.
     
    Verdammt, Jan, du und ich, wir waren doch die besten Kumpel. Der Rest: fuck the rest. Wo warst du? Du wusstest doch, dass er heute beerdigt wurde? Seine Freundin hat gesagt, du hättest eine Karte geschickt, die Adresse deiner Alten stand in seinem Adressbuch. Ich schicke diesen Brief dorthin, ich hoffe, dass Du ihn be kommst. Nettes Mädchen übrigens, ich glaube, ich wer de sie noch mal besuchen, um sie zu trösten. Ich habe jetzt endlich einen guten Job, Betonbauer bei der Betuwewlijn. Klaas hatte auch einen Job, er verkaufte Tiefkühlhähnchen für eine Firma in Barneveld, an Snackbars und Restaurants im Umkreis von Amster dam und Rotterdam. Dadurch ist er in die Scheiße reingeraten. Der Einzige, der sonst noch von uns da war, war der Sergeant. Ich habe ihm auf dem Friedhof erklärt, woran Klaas meiner Meinung nach gestorben ist, nämlich nicht an einer Überdosis, wenigstens keiner freiwilligen. Bei seiner Arbeit als Hähnchenverkäufer ist er auf diesen Henker von Zukic gestoßen, den wir ja alle kennen. Dieser Mann läuft frei herum, unter dem falschen Namen Zeljko Deronic, und betreibt ein Re staurant in Haarlem. Rate mal, wie er dahin gekom men ist, und mit wessen Hilfe? Mir schwant da was. Jedenfalls hat Klaas den Scheißkerl heimlich fotogra fiert und ist sofort zur Polizei gegangen, und von da aus zu den Leuten in Arnheim, die für Kriegsverbrechen zuständig sind. Auch die Polizei hat noch mal in Arnheim angerufen, kurzum, es wurde eine Menge telefo niert und geredet, und irgendwie ist das der falschen Person zu Ohren gekommen, und Zukic ist ausgeflo gen, und Klaas hat eine Überdosis gekriegt, und wir haben ihn beerdigt.
    Zuerst wollte mir der Sergeant nicht glauben, aber schließlich sagte er, dass ich alles, was ich wüsste, auf schreiben sollte. Er will noch diese Woche mit mir zu sammen zum Kriegsverbrecher-Tribunal fahren, er will dort einen Termin für uns vereinbaren. Er hat schon vor einiger Zeit den Dienst quittiert, er arbeitet jetzt bei einer Sicherheitsfirma. Der weiß, wo’s langgeht. Ich soll mit niemandem darüber reden, und er hat Recht, wenn man daran denkt, was mit Klaas passiert ist. Der Major hat inzwischen großen Einfluss, er ist General und ein hohes Tier im Verteidigungsministerium, wusstest du das? Er könnte überall seine Finger drin haben. Der Sergeant hat gefragt, ob ich noch Kontakt zu ande ren Kameraden hätte, und ich habe geantwortet, schon seit Jahren nicht mehr. Er will, dass das so bleibt, bis nach unserer Aussage vor dem Tribunal. Wir werden ja dann zu hören kriegen, ob sie noch andere Zeugen brauchen. Für diesen Fall habe ich an dich gedacht. Du weißt genauso viel wie ich, aber du weißt nicht, wel chen Mist ich gebaut habe. Wenn ich damit rausrücken muss, kriege ich heute noch gewaltigen Ärger. Es war ein Unfall, aber es könnte sein, dass ich dann auch noch als Mörder hingestellt werde. Das quält mich die ganze Zeit. Das alles geht mir tie risch an die Nerven seit dem Begräbnis. Ich dachte mir: Weißt du was, scheiß auf Stolz, ich schreibe einen Brief an Jan. Du bist der Einzige, der mich vielleicht ver steht, auch wenn du nicht mehr ganz sauber tickst, seit das Kind unter deinen Lkw geraten ist. Aber du kannst vielleicht verstehen, dass ich nicht als Zeuge darüber aussagen kann, was ich gesehen habe, ohne dabei über das Mädchen unter meinem Lkw zu sprechen, um es mal so zu sagen, denn das Erste, was sie sagen werden, ist

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