Tiffany
Stiefmutter wahrscheinlich hinter der Bar stand, während der Vater in der Oude Her berg die Gäste musikalisch unterhielt. Ich erreichte ihn.
»Pierre Cornelius.«
»Max Winter. Ich habe Sie vor kurzem …«
»Haben Sie Neuigkeiten von Madelon?«
»Ich bin auf der Suche nach ihr. Ich dachte, sie sei vielleicht …«
Er unterbrach mich. »Nein, sie ist bis jetzt noch nicht nach Hause gekommen. Ich habe meine Tochter nicht mehr gesehen, seit …«
»Okay, vielen Dank.« Ich keine Lust auf leeres Geschwätz und wollte schon auflegen, als ich seine flehentliche Stimme hörte: »Meneer Winter?«
»Ja?«
»Wenn Sie sie sehen …« Er geriet in Verwirrung. »Sagen Sie ihr bitte …«
Danach kam nichts mehr, als habe er den Faden verloren und seine Gedanken sich in der Tapete des Restaurants verlaufen.
»Ich werde es ihr sagen«, versprach ich und legte auf.
Tiffany würde sich bedanken. Misch dich nicht in mein Leben ein.
Ich fuhr an ihrem früheren Arbeitsplatz vorbei. Es war kein Mensch zu sehen. Vielleicht waren sie zu einem anderen Strich abgewandert, oder sie feierten den Vorabend zum Tag der Arbeit. Vielleicht hatte Tiffany auch die Prostitution an den Nagel gehängt, weil sie mithilfe meiner Pistole eine Bank ausgeraubt hatte.
Amsterdam kam mir vor wie der sprichwörtliche Heuhaufen, Tiffany wie die Nadel. Das Hausboot war dunkel und verlassen. Irgendjemand hatte mit Brettern die Tür vernagelt. Auch ein Besuch bei dem besetzten Haus in der Remkade brachte kein Ergebnis; man hatte sie dort schon seit Wochen nicht mehr gesehen, und Jerry war nach Deutschland zurückgekehrt.
Es war schon beinahe Mitternacht, als ich vor dem kleinen Haus an der Palmstraat anhielt. Hinter den Gardinen in der unteren Etage brannte Licht. Ich zog an der altmodischen Klingel.
Jemand schob die Gardine ein Stück beiseite; durch das im Hintergrund brennende Licht konnte ich das Gesicht nicht erkennen. Kurz darauf wurde die Tür zehn Zentimeter weit geöffnet, gerade so weit, wie die stabile Kette es zuließ. Ein blasse Frau, mager, mit Brille.
»Guten Abend«, sagte ich mit meiner freundlichsten Stimme. »Es tut mir Leid, dass ich Sie störe, aber ist Patty zu Hause?«
»Patty?« Die Frau wiederholte den Namen mit sichtlichem Widerwillen. Sie schüttelte den Kopf und schloss die Tür.
Erneut zog ich an der Klingel. Wieder ging die Tür auf, wütend, gegen die Kette. »Ich habe doch gesagt …«
»Ich weiß, dass Patty hier wohnt. Ich habe sie letzte Woche nach Hause gebracht.« Ich legte meine Hand an die Tür.
»Wenn Sie nicht weggehen, rufe ich die Polizei.« Ihre Stimme schwankte lispelnd zwischen Angst und Widerwillen hin und her. Ich erkannte, worin das Problem lag.
»Ich bin kein Kunde«, erklärte ich rasch. »Mein Name ist Max Winter. Ich bin auf der Suche nach einem anderen Mädchen, ihr Name ist Tiffany. Patty hat mir schon einmal geholfen.«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. »Sie sind Max Winter?«
»Ja.«
»Können Sie sich ausweisen?«
Ich steckte meinen Meulendijk-Ausweis durch den Türspalt. Sie nahm ihn mir aus der Hand und schloss die Tür, um ihn in Ruhe betrachten zu können, ohne womöglich von mir belästigt zu werden. Kurz darauf klirrte die Kette, und die Tür ging auf.
»Tineke hat mir von Ihnen erzählt«, sagte sie und gab mir meinen Ausweis zurück. »Nehmen Sie’s mir nicht übel, ich dachte … Na ja, weil Sie sie Patty nannten. Kommen Sie doch rein. Ich bin Hanneke.«
Ich roch den lange in Vergessenheit geratenen Duft von Patschuli, als ich an ihr vorbei ins Haus ging. Tineke?
Sie führte mich ins Wohnzimmer. »Wir wohnen schon seit zwei Jahren zusammen«, erzählte sie. »Aber Tien führt ihr eigenes Leben, ich kann das nicht …«
Sie zeigte unsicher auf einen Rattanstuhl. Sie war klein und klapperdürr, am Rande der Magersucht, und hatte dünnes, blondes Haar, das zu beiden Seiten ihres Gesichts glatt hinunterhing. Das Wohnzimmer hätte zwei Studentinnen gehören können, doch der hölzerne, mit Papieren überhäufte Schreibtisch, auf dem auch ein Computer und ein Drucker standen, passte so gar nicht zu dem Bild, das ich mir von Patty gemacht hatte, ebenso wenig wie die ungeordneten Reihen von Büchern über Handarbeiten, Patchwork, Makramee, Blumenarrangements und anverwandte Hobbys.
Hanneke folgte meinem Blick, sah mein Stirnrunzeln und sagte: »Das ist Teil meiner Arbeit, ich lektoriere Manuskripte für einen Verlag. Leider nur in größeren Abständen, ich verdiene
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