Tiffany
automatischen Bewässerungssystem. Gijs van Nunen war in einem alten Seemannspullover und einer Manchesterhose dabei, einen Apfelbaum zu beschneiden, der über und über mit rosafarbenen Knospen bedeckt war. Er reichte mir die Hand und sagte: »Ich habe noch keine Rechnung von dir bekommen, und auch keinen Bericht. Gibt es etwas Neues?«
Ich nickte. »Wer war denn dieser Journalist?«
»Er nannte sich Hans ter Braak. Wenn du fünf Minuten früher gekommen wärst, hättest du ihn selbst danach fragen können. Er ist eben erst weg.«
»Hat er Ihnen seinen Presseausweis gezeigt?«
»Nein, und ich habe ihn auch nicht danach gefragt. Ich hielt es für das Beste, mich dumm zu stellen.«
»Warum?«
»Weil das meine normale Reaktion gewesen wäre, wenn ich nicht wüsste, dass der Tod meines Sohnes kein Un glücksfall war.«
Ich atmete auf. Sein siebzigjähriges Gehirn funktionier te noch einwandfrei. »Wie hat er ausgesehen?«
»Ein kräftiger Kerl, etwa Mitte vierzig, Jeansjacke, fit ter, als man es von einem normalen Journalisten erwarten würde. Ich habe den Soldaten in ihm förmlich gerochen. Sagt dir das was?«
Wieder nickte ich. »Was wollte er wissen?«
»Alles Mögliche, ob Jan mit mir über die Dinge geredet hätte, die er in Bosnien erlebt hatte …«
»Nannte er den Namen Grimshave?«
»Nein. Und ich natürlich auch nicht. Er behauptete, mit einem anderen Journalisten zusammenzuarbeiten, einem gewissen Brendel. Ist das der Mann, mit dem Jan versucht hat Kontakt aufzunehmen?«
»Ja.«
»Er fragte, ob Jan ein Tagebuch hinterlassen hätte, oder irgendwelche anderen Aufzeichnungen. Davon weiß ich nichts, da war es leicht, nein zu sagen. Ich denke, ich konnte ihn davon überzeugen, dass ich ein ungefährlicher alter Narr bin, denn er ist schon nach fünf Minuten wieder gegangen. Gab es denn so ein Tagebuch?«
»Ja, und auch einen Brief von einem Soldaten namens Poelman, den er an Ihre Adresse geschickt hat. Können Sie sich an einen solchen Brief erinnern?«
Van Nunen nickte. »Es ist einmal ein dicker Brief hier angekommen, ohne Absender.«
Er zupfte an seiner Astschere herum. »Das war eine Woche vor Jans Tod. Ich bin damit zum Wohnwagen gefahren. Jan war nicht da. Ich habe den Brief einfach auf sein Feldbett gelegt.« Er zögerte und wandte sein Gesicht ab. »Weißt du … ich schäme mich dafür, aber ich war erleichtert, dass er nicht da war. Ich hätte nicht gewusst, was ich zu ihm hätte sagen sollen oder worüber wir hät ten reden können.«
Ich dachte an die verzweifelte Ironie des »hallo Papa« in Jan van Nunens Tagebuch. Kommunikationsstörung, Generationskonflikt. Meiner Meinung nach war in die sem Fall einfach der Apfel meilenweit vom Stamm gefal len. Vater und Sohn waren so grundlegend verschieden, dass sie einander nie verstehen konnten. Die einzige Al ternative wäre gewesen, sich gegenseitig zu akzeptieren, aber das hätte mehr Zeit erfordert, als sie zur Verfügung gehabt hatten.
Van Nunen verscheuchte die Erinnerung daran mit ei ner Kopfbewegung. »Ich sehe dir an, dass du weißt, wer dieser angebliche Journalist ist.«
Ich hätte lange um den heißen Brei herumreden kön nen, doch letztendlich wäre es auf dasselbe hinausgelau fen. »Das war der ehemalige Sergeant Theo Stolz. Der Mörder Ihres Sohnes.«
Der Schock lief wie eine Welle über sein Gesicht. »Bist du dir sicher?«
»Ich habe noch keinen hieb- und stichfesten Beweis. Aber es kann niemand anderer als er gewesen sein.«
Van Nunens Knöchel um die Astschere wurden weiß. »Die Frechheit zu besitzen, sich hier blicken zu lassen«, murmelte er nach einer Pause. Er folgte mir zu meinem Auto, das ich unter einer Reihe hoher Buchen geparkt hatte, und setzte sich auf den Beifahrersitz. Ich spielte ihm die Kassette mit dem Telefongespräch zwischen Theo und dem General vor.
»Das ist er«, sagte er, als er Theos Stimme hörte. »Was meint er mit Nummer eins und Nummer drei?«
»Nummer eins ist Klaas Battenberg, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hat«, antwortete ich. »Ich wusste auch nicht, dass es noch jemanden gegeben hat, bis ich neben Jans Tagebuch auch diesen Brief fand. Nummer zwei muss Soldat Poelman sein. Können Sie mit diesem Marchaba kifak und so weiter etwas anfangen?«
Er nickte. »Ehemalige UNIFIL-Soldaten sagen das zueinander, es war die Standardbegrüßung im Libanon. Es bedeutet einfach: Guten Morgen, wie geht’s, und der General antwortet etwas wie: Gut, danke.«
Ich starrte ihn an.
Van
Weitere Kostenlose Bücher