Tiger Eye
geschehen.
»Delilah«, wiederholte er, aber sie schüttelte nur den Kopf.
»Es war bloß ein Traum, Hari. Nicht mehr.« Jedenfalls verhieß es nichts, was sie verhindern konnten.
Was kommt, das kommt. So ist der Lauf der Dinge, und die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt. Was ich gesehen habe, war nur ein Fragment, das dunkle Stück eines Puzzles, das sonst aber voller Licht sein kann. Das darf ich nicht vergessen.
Ebenso wenig durfte sie vergessen, dass die Gefahr nicht vorbei war.
Haris Blick war viel zu durchdringend, aber er nahm ihre Worte hin und sagte nichts. Sie standen auf, zogen sich an und gingen ins Wohnzimmer. Das Fernsehgerät war eingeschaltet, und ihre vier anderen Mitbewohner hockten fasziniert davor.
»... gestern Nacht eine Leiche in einer Seitenstraße der Monroe Street gefunden worden ist. Die Behörden haben mitgeteilt, dass der Mann dem tödlichen Angriff eines Tieres zum Opfer gefallen sein muss, obwohl sämtliche Quellen bestätigen, dass niemand einen Kampf in diesem Viertel gehört hat, das bis zu diesem Vorfall so friedlich war. Das Opfer wurde als Mr. Wen Zhang identifiziert, ein prominenter Geschäftsmann aus New York. Jeder, der Informationen über diesen Vorfall hat, soll sich umgehend bei der Polizei oder dem Veterinäramt melden.«
»Scheiße«, sagte Dela. »Oh, Scheiße!«
»Da hatte aber jemand einen guten Geschmack«, erklärte Dean.
»Was, zum Teufel, ist da gestern Nacht passiert?« Dela starrte sie an, aber die Männer zuckten nur die Achseln.
»Er muss umgebracht worden sein, kurz nachdem er das Le Soleil verlassen hat«, sagte Eddie.
Blue rieb sich das Kinn. Er brauchte dringend eine Rasur. »Glauben wir wirklich, dass dies ein Tier getan hat?«
Eine tiefe Falte erschien über Deans Nasenwurzel. »Sie haben es jedenfalls so genannt, was bedeutet, dass sie Speichel in den Wunden gefunden haben. Nichtmenschlichen Speichel.«
»Richtig«, sagte Dela. Der Mord an Wen - und sie war sicher, dass es sich um einen Mord handelte - kam so unerwartet und gleichzeitig so... gelegen, dass er geradezu nach fast paranoidem Argwohn schrie. Sie glaubte keine Sekunde lang, dass es ein Tier gewesen war oder jemand, der ihr hatte helfen wollen. Wer, der bei Verstand war, würde so etwas tun, außer ihren Freunden und ihrer Familie? Und wenn sie es gewesen wären, so würde Dela es doch wissen.
»Das ist ein zu großer Zufall«, erklärte Hari. Er wirkte besorgt. »Glaubt ihr, dass einer seiner eigenen Leute ihn umgebracht hat?«
»Unwahrscheinlich.« Artur zog an seinen Fingern, bis die Knöchel knackten. Ein unheimliches Geräusch. »Wenn es ein Mord war, dann vielleicht als Vergeltung für den Mord an Delas Kunden. Um das Gesicht zu wahren. Auge um Auge.«
»Da beide Anführer tot sind, sollte Delilah jetzt nicht länger in ihrem Fokus sein, nicht wahr?«
Dela stöhnte. »Zhangs Spießgesellen werden glauben, dass ich ihn umgebracht habe. Oder Hari, je nachdem, wie viele Menschen von unserem Treffen gewusst haben.«
»Eins nach dem anderen«, mischte sich Dean ein. »Eddie, geh nach unten und überprüf das Sicherheitssystem. Wir bekommen vielleicht Besuch.«
Dela rieb sich die Arme. »Ich gehe mit. Ich brauche dringend etwas Bewegung.«
Hari blieb bei den anderen. Eddie und Dela gingen in ihr Atelier hinunter. Sie sah ihm zu, wie er die Alarmkodes überprüfte. Seine Finger flogen rasch über die kleine Tastatur. Der Blick seiner dunklen Augen wirkte besonders eindringlich.
»Ich möchte mich bei Ihnen bedanken«, sagte er plötzlich und sah Dela kurz an. »Weil Sie mir neulich das Leben gerettet haben. Ich hatte noch keine Gelegenheit, es Ihnen zu sagen... Aber ein solches Risiko ist noch niemand für mich eingegangen.«
In seiner Stimme schwang keine Spur Selbstmitleid mit, aber Dela spürte den behutsamen Hunger eines jungen Mannes, der als Junge zu sehr getreten worden war und jetzt gerade anfing, Fuß zu fassen. Der die leise Hoffnung hegte, dass dies hier endlich ein Ort sein würde, den er Zuhause nennen konnte. Ich bin von verlorenen Söhnen umgeben, dachte Dela, als sie Eddies schmale Schulter berührte.
»Ich hätte nichts anderes tun können«, sagte sie. »Nicht, da Sie Ihr Leben für mich riskiert haben.«
Rote Flecken erschienen auf Eddies Hals. »Ich bin nicht sehr schlimm verletzt worden. Ich glaube, mein Stolz hat am meisten gelitten. Es hätte anders laufen sollen. Ich hätte... besser reagieren sollen.«
»Sie meinen, mit Ihrer... Gabe?«
Eddie
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